Tunesien – Das Ding mit dem Müll

Das Ding mit dem Müll

«Versuch doch einfach, dich auf die schönen Dinge zu konzentrieren!», sagt er, zu mir rüberschauend.

Es vergeht keine einzige Sekunde, die Momente im Felix mal ausgeschlossen, in der wir keinen Müll sehen. 

Wir fahren durch Dörfer, wir fahren über Land. Wir stehen an Traumstränden, wir bummeln durch Souks. Halten an Kreuzungen, um Lebensmittel zu kaufen und wir warten an Fähren. Überall, wirklich überall liegt Müll, vorwiegend Plastikmüll.

Es wehen diese dünnen Plastiktüten in allen Farben an Zäunen, Mauern, Sträuchern und klemmen unter Steinen. PET-Flaschen rollen wie in alten Western das vertrocknete Gestrüpp über die Strasse, stecken in Massen halb versandet an Stränden und liegen zerknautscht in Strassengräben, vor Hauseinfahrten, auf Feldern, unter Marktständen.

Überall erblicken unsere Augen verrostete Haushaltsgegenstände, Waschmaschinengerippe, Betten, Matratzen, Fenster- und Radlose Autos ohne jegliche Technik, Fernseher-Hüllen und kaputtes Plastikspielzeug. Einfach am Strassenrand, an der Promenade, vor der Festung, am Eingang zur Medina. Am Strand, wieder einmal am Strand und im Meer, halb herausragend.

«Versuch doch einfach, dich auf die schönen Dinge zu konzentrieren!», sagt er, einfacher gesagt als getan!

Nach einigen Wochen geht es ihm genauso. Wir verstehen es nicht. Wieso kann das Zeug nicht aufgeräumt, entsorgt, wiederverwertet werden? Wir sind fassungslos und sehnen uns nach aufgeräumter Natur. Nach natürlicher Natur.

müll 221211 16 22 001

Okay, ich schalte einen Gang zurück und recherchiere. In meiner derzeitigen Weiterbildung zum «Enkel*innentauglich Leben» werde ich genau dazu inspiriert.

Meine Recherche

Afrika (ganz Afrika, wow!) hat denselben Energieverbrauch wie die Stadt New York! Ein ganzer Kontinent, noch dazu ein grosser, verbraucht soviel Energie wie eine Stadt. Oha.

Der Müll hier ist sichtbar, der in der Schweiz ist nahezu unsichtbar. Die Schweiz «macht» aber deutlich mehr Müll als Tunesien, sehr viel mehr. Nur er ist nicht sichtbar. Gleich ordentlich weggeräumt, geschreddert, nach Afrika verschifft oder in den Weltmeeren verklappt. Und wir Schweizer*innen (oder Mitteleuropäer*innen?) denken dann, dass wir besser wären. So ein Quatsch!

Des Weiteren sehen wir hier fast keine Neuwagen, unfassbar viel gebrauchte Gegenstände, Nähmaschinen, Roller, Velos, Kochtöpfe, Waschmaschinen: alles second oder noch mehr Hand. Hier wird kaum neu gekauft, wieder ein Pluspunkt in Nachhaltigkeit.

Kaffee und Tee: immer im Glas oder in der Tasse. Pappbecher? Nur ganz selten. Und wenn, dann in den europäischen Hotelketten.

Auf den Märkten kaufen wir alles unverpackt, wir (und da sind wir die Einzigen) bringen unsere Verpackungen und Papier- und Plastik-Tütchen immer wieder mit, verneinen die angebotenen bunten Säckchen. Ein kleiner Teil, aber eben unsere Möglichkeit. Jede Verpackung weniger zählt.

Alles in allem kommen wir zu folgendem Fazit

Es sieht dreckig aus, das gefällt uns nicht. Das wird auch so bleiben.

Summasumarum und angesichts der Tatsache, dass es massgeblich die Industriestaaten sind, die den Planeten verschmutzen, sind die Menschen des globalen Südens auf jeden Fall jedoch die kleineren Umweltsünder*innen.

Wir selbst können nur unseren Teil dazu beitragen. Aufräumen, etwas im Gespräch bleiben ohne den erhobenen und noch dazu besserwisserischen Zeigefinger des mitteleuropäischen Ausländers (siehe oben!) und ganz besonders schauen, dass wir eben selbst so zukunftstauglich wie möglich leben. Keine Kaufräusche, unverpackt kaufen, wo es geht und achtsam mit der Natur leben. Wir sind noch nicht top darin, aber wir gehen den Weg Schritt für Schritt.

Und mit dieser Erkenntnis machen wir Folgendes:

Wir versuchen wieder die schönen Dinge zu sehen. Allen voran die Menschen, die Hilfe, die Natur, die muslimische Welt, die frischgepressten Orangensäfte, den rufenden Muezzin, die wunderschönen Souks, die Moscheen, die leckeren Granatäpfel, das blau-türkis Wasser im Meer, die saharasandgefärbten Sonnenuntergänge, die Dankbarkeit, all das – und noch dazu gemeinsam – erleben zu können.

Geht doch, man muss sich nur ein bisschen selbst kümmern und achtsam bleiben!

PS.: Ich hab an einem arbeitsarmen Montag angefangen, den Strand aufzuräumen. Nach zwei Stunden und etlichen vollen Ikea-Taschen war einfach absolut kein Erfolg sichtbar. Es ist für eine Person nahezu eine Lebensaufgabe. Ich hab – oje – völlig unmotiviert aufgegeben. Nach nur zwei Stunden!

PPS.: Wir schreiben hier absichtlich mehrheitlich (ab morgen wieder, versprochen!) über die schönen Dinge, Momente, Begegnungen. Das wird auch so bleiben. Dennoch sei es uns erlaubt, auch kritisch zu hinterfragen.

PPPS.: Auf meiner Recherche bin ich auf viele verschiedene gute Beiträge gestossen, einen möchte ich hervorheben: jenen von Patrick Spät: Das Boot ist nicht voll, sondern ungleich beladen.

müll 221204 14 24 001

müll 221204 14 25 001

müll 221208 12 31 001

müll 221208 12 32 002

müll 221209 10 40 001

müll 221211 13 10 001

müll 221211 16 11 001

müll 221211 16 20 002

müll 221212 09 33 002

müll 221212 09 40 004

müll 221212 09 33 003

müll 221212 09 42 005


Danke fürs Lesen unserer Nachhaltigkeits-Gedanken. Alle zwei bis drei Wochen montags schreiben wir etwas über die Möglichkeit, zukunftsorientiert im Van zu leben. Wir versuchen, verschiedene Bereiche zu beleuchten und hoffen, ohne erhobenen Zeigefinger auszukommen.

Im Fokus steht bei uns die Freude am Vanlife und die vielen Möglichkeiten. Die überall übliche Weltuntergangs- und Verzichtskommunikation wollen wir vermeiden.

Alle Nachhaltigkeitsposts findest du gesammelt in der Kategorie Zukunft.

Du denkst, das könnte auch andere interessieren? Dann kannst du den Beitrag ruhig teilen. Per E-Mail oder wie du das auch immer möchtest.

Ausserdem kannst du, falls du es noch nicht getan hast, unseren Newsletter abonnieren. Hier bekommst du immer, wenn wir etwas Neues veröffentlichen oder einmal die Woche freitags alle unsere Erlebnisse in deine Mailbox: leben-pur.ch/newsletter

Oder du abonnierst nur unsere Nachhaltigkeits-Artikel. Das kannst du direkt hier machen:

* Pflichtfeld, klar, oder?

Wir freuen uns auch sehr über deine Ansichten, deine Tipps oder deine Fragen. Kommentiere doch einfach auf den Beitrag!

Liebe Grüsse – Heike & Gerd

 

Teilen:
Abonnieren
Benachrichtigen Sie mich bei
guest

5 Kommentare
Älteste
Neuestes Meistgewählt
Inline-Rückmeldungen
Alle Kommentare anzeigen
Jürgen Gonnermann
Jürgen Gonnermann
1 Jahr zuvor

Ein ganz wunderbarer Bericht!
Wenn jeder für sich erstmal vor seiner eigenen Haustür kehren würde, wäre schon viel gewonnen.
Ich wünsche euch weiterhin schöne Tage und Erlebnisse auf eurer großen Reise.
Jürgen aus Hannover

Rachel
Rachel
1 Jahr zuvor

Ja liebe Heike, du hast recht.
In solchen Ländern ist der Dreck und Müll sichtbar und die Menschen haben kein Bewusstsein dazu.

Bei uns läuft das ziemlich hinterlistig ab:
Man sorgt dafür, dass der von uns produzierte Müll, wöchentlich abgeholt wird.
Aus dem Blick entfernt quasi. 😉
Dem Verbraucher wird somit nicht bewusst, wieviel Müll er verursacht und kauft brav alles so ein, wie es ihm angeboten wird.
Die Konjunktur floriert, der Rubel rollt.
So ist’s gedacht und funktioniert perfekt!
Den ganzen Dreck und Elektronischen Müll schicken wir Containerweise nach Afrika oder Malaysia oder Türkei.
Aus den Augen, aus dem Sinn!
Schlau, nicht wahr ? 😔

Ich gebe mein bestes.
Fast alles was ich besitze ist Second Hand.
Ich kaufe so gut wie nie etwas neues.
Lebensmittel ja, muss eben.

Ich spare Wasser und Strom.
Keine Weihnachtsbeleuchtung!

Ich gehe zu Fuß so oft wie möglich oder nehme das Rad.
Und trotzdem bin ich ein Mensch der trotz besseren Wissens, Motorrad fährt und Auto.
Ich gebe mir Mühe es in Grenzen zu halten.

Wenn ich dann aber zusehen, was diese sinnlosen Kriege an Dreck und Leid verursachen, bin ich fast geneigt zu sagen:
Habt mich alle mal gern!
Ich lebe ab sofort ohne Rücksicht auf Kollateralschäden. 😉

Liebe Grüße vom Racheli

Thomas Hoener
Thomas Hoener
1 Jahr zuvor

Eine Stadt verbrauchtest viel Energie wie ein Kontinent! WOW! Das muss jetzt erst mal in den Kopf! Das Problem der Menschheit ist das Geld. Es geht nur um‘s Geld. Der Erde braucht den Menschen nicht und sie wird es regulieren.

de_DE