Iran – Drei Tage in Andimeshk und Dezful, aber Erinnerungen für Wochen

Iran – Drei Tage in Andimeshk und Dezful, aber Erinnerungen für zwei Wochen

Die Parkplatzsuche

Fangen wir ganz am Anfang an: mit der Parkplatzsuche. Wir erinnern uns: wir müssen unseren Felix ja irgendwo parken, um die schöne Zugfahrt machen zu können. Und es ist klar, dass wir mindestens den ganzen Tag, vielleicht sogar zwei Tage ohne ihn sein werden.

So finden wir in einer Seitenstrasse vor einer Versicherungsagentur und einer öffentlichen Bibliothek einen Platz am Strassenrand. Der Versicherungsvertreter verspricht uns, ein Auge auf Felix zu haben (obwohl wir nicht glauben, dass etwas passieren wird – die Iraner sind deutlich ängstlicher als wir, merken wir). Wir bummeln durch die abendliche Stadt, ich kaufe noch ein paar Stoffe in einem Stoffladen – und freue mich schon, wenn ich zu Hause wieder meine Nähmaschinen auspacken kann.

Zurück am Felix – wir wollen früh weg, unser Zug fährt schon um 6 Uhr – steht eine Familie vor unserem Auto und lädt uns zu Tee und Gebäck ein. Eigentlich mag ich nicht mehr, aber Gerd sagt zu, lass uns mitgehen. Da ich mich zu 100 % auf Gerds Intuition verlasse, ziehe ich mein Nachtkleid wieder aus, werfe mich in irantaugliche Kleidung und schon sitzen wir im Wohnzimmer einer weiteren Grossfamilie.

Die Einladung

Hier scheint es sich herumgesprochen zu haben, dass man Gäste hat. Immer mehr Familienmitglieder trudeln ein. Es ist spät, es gibt Tee, die üblichen Süssigkeiten, Früchte, Nüsse. Wir werden fotografiert und gefilmt. Der Hausherr ist ein bekannter (und uns unbekannter) Sänger aus dem Fernsehen, seine Familie freut sich sehr über uns. Vor allem die jungen Frauen zwischen 14 und 18 Jahren sprechen gut Englisch und fragen und fragen. Wir lachen viel, es wird gesungen, gelacht und wir können es wieder einmal kaum glauben, dass wir hier sitzen.

Das gemeinsame Abendessen

Natürlich tauschen wir Nummern aus, ohne WhatsApp und Instagram wäre das hier viel schwieriger. Und man nimmt uns das Versprechen ab, dass wir nach der Zugfahrt zum Abendessen kommen. Da wissen wir noch nicht, dass wir 12 Stunden im Zug sitzen werden. Aber was soll’s, am Abend nach unserer Zugfahrt klingeln wir an der Tür (wir stehen mit Felix mittlerweile 10 Meter weiter, direkt vor der Tür unserer Gastgeber), dürfen die hauseigene Dusche benutzen und schon wird aufgetischt. Wir essen zusammen, es ist ein richtiges Festessen. Auch heute kommen immer mehr Familienmitglieder, wir erzählen von unserer Zugfahrt, sie von ihrem Leben. Und wieder fragen die jungen Frauen. Wie das so ist, muss man unbedingt heiraten? Wer die Partner aussucht und welche Berufe die mit dem höchsten sozialen Status hätten.

Wir schlucken: Wo anfangen? Schliesslich sitzen auch die Eltern da und wir wollen keinen Stress verursachen: Also beginnen wir fast jeden Satz mit «In unserem Land…» und betonen oft, wie wichtig es sei, die verschiedenen Kulturen anzuerkennen. Aber ich bleibe bei der Wahrheit: Nein, bei uns wählen nicht die Eltern aus. Und ja, wir heiraten tatsächlich meist aus Liebe. Nein, bei uns wird man nicht geächtet, wenn man länger allein ist, ja, bei uns kann man sich auch scheiden lassen, ohne Angst haben zu müssen, komplett aus der Familie ausgeschlossen zu werden. Und nein, ich weiss nicht, welcher Beruf den höchsten sozialen Status hat. Für uns war eigentlich immer nur wichtig, dass wir das machen, was uns Freude bereitet und vor allem, was wir uns über Jahre vorstellen können.

Dann frage ich zurück, ob sie das Gefühl haben, dass Gerd und ich unglücklich sind. Nein, überhaupt nicht. So ein Leben hätten wir auch gerne! Na ja, und wir haben beide nicht super bis zum Doktor studiert, wir haben einfache Berufe, die uns aber befriedigen. Wir helfen Menschen und machen unsere Arbeit gut. Wir halten durch und lieben, was wir tun. Nein, auf einer Party würde wahrscheinlich niemand zu uns aufschauen, wenn wir sagen würden, dass wir Grafikerin und ITler sind. Aber wisst ihr was? Ist auch egal, es zählt für uns etwas anderes.

Es geht ums Geld

Es geht oft ums Geld. Und damit ist, glaube ich, weltweit auch Status verbunden. Und ja, auch Macht, irgendwie. Das wissen wir natürlich, gerade weil wir aus einem Land kommen, wo das auch nicht ganz unwichtig ist. Und uns ist natürlich völlig klar, dass es immer einfacher ist, Geld als unwichtig und krankmachend zu bezeichnen, wenn man genug davon hat, um sein Leben zu bestreiten.

Und dennoch: In jedem einzelnen Gespräch geht es um Geld. Wie viel man verdient, was das Auto kostet. Was ein Arzt in der Schweiz verdient, was ein Lehrer. (Aber davon haben wir keine Ahnung und müssen googeln). Es geht auch darum, dass man hier kaum Geld sparen kann, weil die iranische Währung von Tag zu Tag weniger wert wird und der Wert sozusagen täglich auf den Konten schmilzt. Man muss Dollar oder Euro sparen. Vielleicht Immobilien oder Gold. Alles andere wäre sinnlos.

Wir verstehen das alles und doch versuchen wir behutsam darauf hinzuweisen, nicht sein ganzes Leben dem schnöden Mammon zu unterwerfen. Sich Momente der Freude zu schaffen, die kein Geld kosten. Sonst wird man zum Sklaven seiner Ideen, seiner Gier nach Geld, seiner Sehnsucht nach materiellen Dingen … Alle nicken eifrig, aber wir glauben, dass das kaum jemand versteht. Wie auch, in einem Land, in dem es kaum so etwas wie Chancen und oder Zukunft gibt? Irgendwann zucken wir mit den Schultern, wissen auch nicht weiter und sagen das auch. Unsere Herkunft ist so unterschiedlich.

Aber: Ich bin abgeschweift.

Stadtrundgang Dezful

Morgens werden wir abgeholt, Hussein, ein Bruder des Sängers, nimmt sich einen ganzen Tag Zeit und zeigt uns seine Stadt. Wir fahren zum Fluss (hier ist es deutlich kühler und wir geniessen die Frische), besuchen einen Schrein und fahren über alle Brücken der Stadt. In einem Hammam-Museum erfahren wir viel über die Stadt und über die Bade-Kultur im Land.

Wir fahren zur Büffelzucht und schlendern durch den Kunsthandwerksbasar und kaufen Süssigkeiten für das abendliche Fastenbrechen. Wohlgemerkt, Hussein fastet, es ist noch Ramazan, und versorgt uns trotzdem mit Essen und Trinken. Einfach unglaublich.

Irgendwann werden wir alle müde, der Tag war voller Erlebnisse und eigentlich würden wir uns am liebsten hinlegen. Kein Problem, im Haus von Husseins Familie warten schon Tee, Süssigkeiten, Obst und natürlich ein spätes Mittagessen auf uns. Unglaublich, dass die Familie fastet und sich trotzdem zu uns setzt!

Eine der Töchter räumt ihr Zimmer, wir dürfen uns für ein Mittagsschläfchen hinlegen. Es dauert tatsächlich nur wenige Minuten und wir sind tief und fest eingeschlafen. Als es Stunden (!) später an der Tür klopft, stellen wir erschrocken fest, wie lange wir geschlafen haben. Anscheinend haben uns die letzten Tage ganz schön mitgenommen.

Musikschule & Party danach

Nach einem erfrischenden Tee geht es weiter, der Musiker-Bruder nimmt uns mit in seine Musikschule, wir dürfen den Klavierschülerinnen und -schülern beim Unterricht zuschauen. Ich persönlich finde, dass das ganz schön Druck auf die Kinder ausübt, aber das ist allen Beteiligten irgendwie egal. Und: Wir freuen uns an den Stücken, die wir nicht kennen. Und vor allem, dass die Kinder hier musikalisch ausgebildet werden. Was würden wir heute drum geben, wenn wir in unserer Kindheit ein Instrument gelernt hätten? Hätte, hätte Fahrradkette.

Kaum ist die letzte Schülerin aus dem Haus, geht es weiter. Zu einer Schwester und ihrer Familie. Hier ist die Familie wieder versammelt und auch viele Nachbarinnen. Wir merken, dass wir hier in eine wohlhabendere Familie gekommen sind. Das merkt man nicht nur an den Möbeln, an den Getränken und an der Kleidung. Auch an den «gemachten» Gesichtern der Frauen. Was aber alle Familien, die wir treffen, eint: Egal, ob wir auf einem alten Teppich sitzen oder auf hochglanzpolierten Sesseln: Die Herzlichkeit, die Wärme, die Gastfreundschaft ist überall gleich. Einfach wunderbar. Man könnte danach süchtig werden.

So tritt unser Sänger auf, es wird getanzt, gelacht, gesungen, gegessen, getrunken und das Zusammensein gefeiert. Was für eine tolle Zeit hier in Andimeshk und Dezful!

Nachts um 3, als die Party irgendwann zu Ende geht, werden wir zu unserem Felix gefahren, unterwegs machen wir noch einen Stopp in einer Eisdiele (nachts um 3 und wir sind nicht die einzigen Gäste dort!) und trinken zum ersten Mal Vanilleeis mit frisch gepresstem Karottensaft, das schmeckt wirklich lecker.

Todmüde, völlig aufgekratzt und glücklich fallen wir ins Bett. Und freuen uns auf morgen: Natur, Berge, nichts, kein Ton, keine Musik, keine Gespräche, keine Einladung, keine Ablenkung. Nur Berge und Natur und Gedanken sortieren.

Und dabei wollten wir vor drei Tagen nur einen Parkplatz suchen!

Fotos: Wir haben auch hier viel fotografiert, aber ich achte darauf, dass es der Familie nicht schadet. Deshalb gibt es nicht von jedem Tag Fotos. Klar, oder?

leben pur

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Merci fürs «Mitreisen»

Unsere ersten Vorträge in der Schweiz sind geplant. Weitere in Deutschland könnten folgen. Wir schauen mal. Gern würden wir euch irgendwo im Westen Deutschlands und auch im Raum Berlin mit in die persische Welt mitnehmen. Dazu suchen wir noch Räumlichkeiten. Falls ihr was wisst: Schreibt uns gern.

Leben-pur-Vortrag-Persien

Vortrag & persische Teestunde
Kamele, Kulturen & viele Kontraste
Leben-pur reisen mit dem Camper durchs geheimnisvolle Persien

Zwei Termine:
21.06.24 oder 28.06.24; 19 Uhr Muri/Bern
21. oder 28. Juni 2024 – Beginn jeweils 19 Uhr, Türöffnung 18:45 Uhr RoomZoom – Thunstrasse 162 – 3074 Muri b. Bern

Wir freuen uns über 20 CHF pro Person. Kids sind gratis dabei.
Anmeldung bitte per E-Mail: andrea.kormann@dakor.ch


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