19. Mai 2021

19. Mai 2021

Grosse Reise 🏍 Tag 257
Kleiner Anfall von Vergangenheits-Emotionalität

Eigentlich wusste ich es ja. Dass Bulgarien ein ehemals sozialistisches Land ist. Und dass es beim Sprung in die moderne Welt keine so grosse Unterstützung hatte wie unsere kleine DDR damals, auch das ist mir bekannt. (Kleiner Hinweis: ich bin mir an dieser Stelle nicht sicher, ob die moderne Welt nur Vorteile gebracht hat, das mal nur am Rande.) Und ja, ich wusste auch, dass uns hier verlassene und graue, traurig anmutende Dörfer erwarten.

Als ich dann mittendrin stand, in diesem Laden, der irgendwie bei der Umwandlung zum Kapitalismus vergessen ging und immer noch so aussieht wie ich es von früher gewohnt war, hat es mich kalt erwischt.

Erst einmal sprachlos (!!) schaute ich Gerd an und stotterte: «Genau so war es früher, genau so sah es aus. So war es damals, als ich Kind war.» Er nahm mich in die Arme und flüsterte «Du armes Tschudderli» in mein Ohr.

Später fahren wir über Land und es gähnt uns (neben wirklich beeindruckender Natur) in den Dörfern dieses Fade entgegen, dieses Alte, dieses Verrottete, dieses Grau. Und wieder spüre ich: so war es, ja, genau so.

Diesmal mischt sich allerdings Wehmut und Nostalgie mit ein, die Strasse ist staubig und leer, aber ich sehe im Geiste Kinder rumrennen, höre Ostmusik in den Ohren und wie wir heimlich Westzeitungen lesen. Wie wir diesen gruseligen Joghurt mit Gummi-Konsistenz probieren und Thälmann-Brause trinken. Wie wir beim Fahnenappell als Pioniere heimlich «Freundschaft» mit riefen, um uns grösser zu fühlen. Wie wir für den Bus und fürs Kino 10 Pfennig zahlen und der Jugendclub eine zweite Heimat für uns war. Und neben dem ganzen Scheiss, der damals vonstatten ging, von dem Mama mich abgeschirmt hat, kommt wirklich Freude auf. Erinnerungen an eine wirklich unbeschwerte Kindheit.

Danke Bulgarien, dass ich durch dein Äusseres mal wieder einen Blick in mein Inneres werfen konnte!
#schöneKindheit #ddr #ostkind

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2 Kommentare
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Rachel Hirt
Rachel Hirt
2 Jahre zuvor

Dankeschön, Heike.
Ein sehr berührender Bericht. 👍

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