
Langsam finden wir unseren «Nach-Norden»-Rhythmus. Die nächsten paar hundert Kilometer folgen wir dem Fluss Ziz.
Das Ziztal selbst erstreckt sich über etwa 280 Kilometer und wird vom gleichnamigen Fluss geformt. Der (die?) Ziz entspringt im östlichen Hohen Atlas und fliesst bis zur Grenze nach Algerien, wo er schliesslich in der Sahara versiegt. Unsere Fahrt führt uns durch tiefe Schluchten und vorbei an weitläufigen Palmenhainen. Immer wieder müssen wir anhalten, um die atemberaubende Landschaft zu bewundern und natürlich auch zu fotografieren.
Ach, übrigens: Mit einer jährlichen Ernte von über 100.000 Tonnen sind Datteln ein wahrer Schatz des Landes. Die Marokkaner geniessen ihre Datteln als Frühstück mit Minztee, als natürlichen Energiespender zwischendurch oder in zahlreichen traditionellen Gerichten. Auf den farbenfrohen Märkten türmen sich die glänzenden Früchte zu kleinen Pyramiden, wir jedoch kaufen jeweils vor Ort in den Oasen unsere Datteln.
Heute steuern wir einen Campingplatz an, den wir empfohlen bekamen. Nahe Aoufous biegen wir auf einen unscheinbaren Platz ab, der sich als wahres Paradies entpuppt. Zur Begrüssung werden wir mit Tee, ein paar Datteln und sofort eine Einladung zum Abendessen verwöhnt. Direkt vor unserem Wohnmobil erstreckt sich ein riesiger Dattelhain – unser Vorgarten für die nächsten Tage. Das Abendessen wird dann in unserem Felix serviert: wohl die beste Tajine, die wir je in Marokko hatten.
Aoufous ist weniger touristisch als grössere Städte wie Erfoud oder Merzouga, besticht jedoch durch seine ruhige, authentische Atmosphäre. Neben der Dattelproduktion betreiben viele Einwohner Landwirtschaft und nutzen dabei traditionelle Bewässerungssysteme wie die Khettara, unterirdische Wasserkanäle.
Geplant war nur eine Nacht, doch wir bleiben länger. Am nächsten Tag führt uns der Campingplatzbetreiber auf eine Wanderung durch die «Palmerie», wie die Einheimischen die Palmenhaine nennen. Wir erfahren, dass Dattelpalmen eigentlich Gräser sind und bis zu 300 Jahre alt werden können. Ab einem Alter von sechs Jahren tragen sie Früchte. Auf eine männliche Palme kommen etwa 50 weibliche – eine Art «Vielweiberwirtschaft». Das Erstaunlichste ist, dass die Palmen fast ausschliesslich per Hand bestäubt werden. Ahmed zeigt uns die männlichen Samen, die weiblichen Blütenstände und erklärt den gesamten Bestäubungsprozess. Noch ist es nicht soweit, aber in zwei bis drei Wochen werden die Palmen bereit zur Bestäubung sein.
Übrigens kann eine Palme heutzutage etwa 50 bis 100 Kilo Datteln pro Jahr tragen. Früher war das anders, da man weniger über die Palmenpflege wusste und die Datteln hauptsächlich für den Eigenbedarf nutzte. Heute will man mehr ernten und verkaufen, daher werden die Palmen weiter auseinander gepflanzt, die Bewässerung erfolgt strukturierter und in den Palmengärten werden zusätzlich Bohnen, Weizen und andere Pflanzen kultiviert. Das hat den Vorteil, dass die Fläche mehrfach genutzt wird und der Boden weniger stark austrocknet, denn Palmen benötigen viel Wasser.
Alles an den Palmen wird genutzt: vertrocknete Palmwedel dienen zur Hausisolation, zum Flechten von Körben, Zäunen oder Besen und sind exzellentes Brennmaterial. Stirbt eine Palme, wird der Stamm wie Holz für den Hausbau verwendet. Herunterfallende Datteln dürfen die Tiere naschen. Ableger der Palmen werden auf den Märkten verkauft.
Während der Wanderung sehen wir immer wieder schwarze, verbrannt aussehende Palmenstämme. 2021 gab es einen grossen Palmenbrand, der den gesamten Hain in Flammen setzte. Die Ernte von 2021 und 2022 war komplett verloren. Doch die Palmen selbst überleben und tragen ab dem dritten Jahr nach dem Brand wieder Früchte, wenn auch zunächst weniger. Im vierten Jahr ist alles wieder normal, vorausgesetzt, es gibt genug Wasser. Ein Vorteil des Brandes ist die Gesundheit des Palmenbestandes: In trockenen Jahren werden die Palmen oft von Käfern befallen, die sie von innen heraus schwächen. Durch das Feuer werden diese Käfer vernichtet, und man hat wieder viele Jahre Ruhe vor dieser Art von Erntevernichtung.
Wir schlendern durch das Dorf, erst durch den alten, nahezu unbewohnten Teil, dann weiter durch die «Neustadt». Ahmed lädt uns zu seiner Familie ein, wo wir Tee, Kuchen und köstliche Sesampaste naschen. Zu meiner grossen Überraschung holen die Damen des Hauses traditionelle Kleider hervor und möchten, dass ich sie anprobiere. Obwohl ich mich dabei etwas unwohl fühle, mache ich mit. Plötzlich stehe ich in Hochzeitskleidung zwischen der Familie und soll mich fotografieren lassen. Es ist eine dieser skurrilen Situationen, die auf Reisen immer wieder passieren: Da hilft nur freundlich lächeln und mitmachen. Nach den Fotos darf ich mich wieder umziehen, und wir kehren zur Tee- und Kuchen-Gemütlichkeit zurück.
Die Tage hier sind einfach wunderbar: Am Morgen wird Brot im Lehmofen gebacken, und wir dürfen zuschauen und jeden Tag ist eines der Brote für uns. Lange allerdings halten die Brote bei uns nicht, warmes Brot, frische Butter, liebgewonnenes Amlou und Freundinnen-gemachte Konfitüre und wir werden schwach, sehr schwach.
Irgendwann am Vormittag werden wir zum Tee gerufen. Mitten auf dem Platz haben Ahmed und sein Bruder einen Tisch aufgestellt, es gibt Tee für alle, und wir plaudern gemütlich. «Wo gibt es die besten Datteln?», «Wo kann man diese schönen silbernen Tabletts kaufen?» oder «Was tun, wenn ein Sandsturm kommt?» Die Vormittage vergehen in geselliger Runde mit den anderen Campern. Es sind nicht viele, aber genau das macht den Reiz aus!
Eigentlich wollten wir schon längst weiterfahren, aber dann kam der Freitag, der Couscous-Tag. Und so sitzen wir zum Mittagessen mit allen anderen an einer langen Tafel und lassen uns verwöhnen. Den Nachmittag verbringen wir bei Kaffee, Tee und marokkanischem Süsskram im Berberzelt. Wir plaudern, eine Französin hilft mir beim Entwirren meiner frisch gekauften Wolle, und wir lachen so viel wie lange nicht mehr.
Ob wir morgen loskommen? Mal sehen…




























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