
Längerer Beitrag – schneller Überblick:
Der Kontrast könnte kaum grösser sein: Gerade noch in Oulu, direkt am Hafen, wo das Leben uns fast zu laut erschien und nun stehen wir hier: mitten im Wald, am Rand eines stillen Sees bei Pyhäntä. Das Einzige, was wir hören, ist das gleichmässige Tropfen des Regens auf das Dach unseres Felix.
Wir hatten uns bewusst für diesen Ort entschieden. Nach Tagen auf belebteren Plätzen sehnten wir uns nach Ruhe, nach Natur, nach einem Platz, an dem wir einfach nur sein können. Und genau das finden wir hier.
Eine kleine Schutzhütte steht direkt am Wasser, umgeben von dichtem Kiefernwald. Sie ist überdacht, robust gebaut und mit Feuerholz ausgestattet – wie so viele Plätze hier in Finnland. Wir sind beeindruckt, wie selbstverständlich es hier ist, dass solche Orte für alle offen sind, gepflegt, funktional – und einladend. Gibt es einen besseren Beweis für das Vertrauen einer Gesellschaft?
Feuer, Fell und Flugversuche
Schon am Morgen zeigt sich das Wetter von seiner beständigen Seite: Regen, fein und leise, aber hartnäckig. Wir wissen, dass das heute so bleibt, der Wetterbericht hatte es angekündigt, und der Regen hält sich daran. Gerd verzieht sich mit Laptop in den Van, kümmert sich um IT-Probleme in seiner Firma. Ich dagegen ziehe mit Decke, Thermoskanne und Lammfell in den Unterstand.
Irgendwann am späten Vormittag wird mir kalt. Wirklich kalt. Nicht so ein bisschen «fröstelig», sondern bis in die Knochen. Also mache ich ein Feuer. Ganz in Ruhe. Das Knistern und Knacken der ersten Flammen ist wie ein kleines Wunder. Ich sitze stundenlang da – eingemummelt in meine Decken, die Füsse am warmen Stein, die Hände an der Kaffeetasse. Es ist einer dieser Tage, an dem nichts passiert. Und gerade deshalb so viel.
Immer wieder denke ich: Wie wunderbar durchdacht das alles ist. Fast überall in Finnland finden wir Schutzhütten, Feuerstellen, sogar Toiletten – Trockentoiletten, Plumpsklos hätten wir früher gesagt – und oft auch Mülleimer. Feuerholz gibt es häufig gratis dazu. Und selbst das Wasser, das wir an Tankstellen oder öffentlichen Zapfstellen bekommen, ist so rein, dass wir es direkt trinken können. Warum funktioniert das hier so gut? Und warum ist es nicht überall so?
Jeder darf – aber mit Verantwortung
Ein Grund für diese Offenheit liegt tief in der nordischen Kultur verankert: das Jedermannsrecht (Everyman’s Right, finnisch: jokamiehenoikeudet). Es erlaubt jedem Menschen, sich frei in der Natur zu bewegen – egal, wem das Land gehört. Zelten, Beeren pflücken, Feuer machen (wo erlaubt), wandern, schwimmen – all das gehört in Finnland zu den Grundfreiheiten. Vorausgesetzt natürlich, man geht respektvoll mit Natur, Tieren und Menschen um. Und, ganz wichtig, man dringt nicht zu weit in die Privatsphäre anderer Menschen ein.
Für uns fühlt sich das wie ein grosses Geschenk an. Dieses Vertrauen, das in die Menschen gelegt wird, ist spürbar. Und es wirkt: Die Plätze sind sauber, die Regeln werden eingehalten, das Miteinander funktioniert – ganz ohne Verbotskultur. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum wir uns hier so wohlfühlen.
Später am Nachmittag, so gegen sechs, lässt der Regen plötzlich nach. Ein vertrautes Schauspiel. Jeden Tag aufs Neue scheint die Sonne gegen Abend noch einmal durch die Wolken zu brechen, als wolle sie sich für den grauen Tag entschuldigen. Sie steht tief, spiegelt sich im See, wirft lange Schatten. Und ich? Ich krame die Drohne hervor.
Seit Jahren begleitet uns das Ding schon und ebenso lange habe ich mich geweigert, sie selbst zu fliegen. Aber jetzt, da ich sie sogar repariert habe – selbst ist die Frau – will ich’s wissen. Also übe ich. Jeden Tag ein bisschen. Starten, schweben, drehen, landen. Manchmal klappt’s, manchmal nicht. Aber ich bleibe dran. Denn das Gefühl, die Welt von oben zu sehen ist schon etwas Besonderes.
Ausblick auf ein kurioses Spektakel
Als der Tag langsam zu Ende geht, machen wir uns ein warmes Abendessen. Vegane Burger-Pattys vom Grill mit Kartoffelbrei aus dem Kochtopf, draussen unter der Hütte, das Feuer brennt noch. Wir sprechen über die nächsten Etappen – und sind gespannt auf das, was uns bald erwartet: die Weltmeisterschaft im Ehefrauentragen. Ja, die gibt es wirklich! Und sie findet nur eine Autostunde entfernt statt.
Aber das ist eine andere Geschichte.
Quellen und Hintergrundinfos:
- Feuerstellen und Schutzhütten in Finnland (Nationalparks.fi)
- Wasserqualität in Finnland (Finnisches Institut für Gesundheit und Wohlfahrt, THL)
- Wife Carrying World Championship – Sonkajärvi
- Jedermannsrecht in Finnland (Visit Finland)













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