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Nach einer atemberaubenden Bergfahrt mit Blick auf irgendeinen Atlas (Hoher Atlas, Mittlerer Atlas oder Antiatlas?) kommen wir in Ouarzazate an, jener Stadt, deren Name wie ein Zungenbrecher klingt. Mein Liebster hat sich vorgenommen, mich zu meinem Geburtstag in eine hochgelobte Patisserie zu entführen. Doch die Realität enttäuscht: Die Patisserie ist weit weniger brillant als beschrieben. Dennoch landen ein paar Törtchen auf unserem Tisch, und ich lerne, dass «Café Creme» hier nichts anderes als Milchkaffee ist – warme Milch, bäh! Also bestellen wir unseren heissgeliebten frisch gepressten Orangensaft und zur Sicherheit einen Café Noir, der einem Espresso gleicht. Hach, und schon fühle ich mich wieder fantastisch.
Der Bummel über den Souk entpuppt sich als eine Besonderheit in Marokko: Alle Stände sind geöffnet, doch die Betreiber halten irgendwo ein Mittagsschläfchen. Wir sind die einzigen Besucher und können in aller Ruhe die Produkte begutachten. Diese sind jedoch wie überall ähnlich: tönerne Tajine-Töpfe, Teppiche, Gewürze, (natürlich echte!) Adidas-, Nike- und Gucci-Produkte sowie das allgegenwärtige Arganöl-Schönheitselixier. So rollen wir weiter, die Strasse entlang, aus der Stadt mit dem unaussprechlichen Namen (später lese ich im Reiseführer, dass man es «Kwarzazate» ausspricht – auch nicht besser). Natürlich verfahren wir uns und landen direkt beim Highlight der Stadt: der Kasbah Taourirt. Ach ja, die gibt es ja auch noch. Denn Ouarzazate ist der Beginn der «Straße der Kasbahs», obwohl ich glaube, dass es erst in Skoura losgeht. Aber wer bin ich, das infrage zu stellen?
Die Kasbah Taourirt ist eine der beeindruckendsten und am besten erhaltenen Lehmfestungen Marokkos. Sie liegt strategisch günstig an der alten Karawanenroute zwischen Marrakesch und der Sahara und war einst das Machtzentrum des Glaoui-Clans, der im 19. und 20. Jahrhundert grosse Teile des Südens kontrollierte.
Aufgrund des Erdbebens 2023 und einiger Renovierungsstaus ist nur ein Teil der Kasbah zu besichtigen. So bummeln wir durch ihre labyrinthartigen Gänge, bewundern kunstvoll verzierte Räume und die typischen Zinnen und Türme aus Stampflehm. Besonders beeindruckend sind die Innenräume, die mit bunten Stuckornamenten, Holzschnitzereien und traditionellen Berbermustern verziert sind. Von den oberen Stockwerken aus bietet sich ein fantastischer Blick über die Stadt, die riesig ist und an eine Industriestadt erinnert, sowie über die weite, karge Landschaft des Oued Ouarzazate.
Der offizielle Teil der Kasbah wirkt sehr steril, kaum Leben und trotz der Lehm-Schönheit irgendwie langweilig. Viel spannender ist der Nebeneingang zur Altstadt. Hier pulsiert das Leben, hier wird gebaut, und die Menschen rufen von Fenster zu Fenster über unsere Köpfe hinweg. Das ist es, was uns gefällt! Leben pur.
Die jüdische Gemeinde von Ouarzazate war einst eine bedeutende Gemeinschaft im Süden Marokkos. Über Jahrhunderte hinweg lebten Berberjuden in der Region und spielten eine wichtige Rolle im Handel, insbesondere auf den Karawanenrouten, die durch Ouarzazate führten. Viele von ihnen waren Händler, Handwerker oder Gold- und Silberschmiede.
Im alten jüdischen Viertel, dem Mellah, lebten Juden und Muslime lange Zeit friedlich nebeneinander. Hier gab es eine Synagoge, die heute jedoch nicht mehr aktiv genutzt wird. Man hat zwar versucht, uns gegen einen Eintritt in das Museum zu locken, aber so richtig spannend ist es dann doch nicht: Überall lagen nur Teppiche aus, und die jüdischen Synagogen in Tunesien haben uns deutlich mehr fasziniert.
Wie in vielen anderen Teilen Marokkos begann der Niedergang der jüdischen Gemeinde Mitte des 20. Jahrhunderts. Nach der Unabhängigkeit Marokkos 1956 und insbesondere nach der Gründung des Staates Israel emigrierten die meisten jüdischen Familien nach Israel, Frankreich oder Kanada. Heute leben nur noch sehr wenige Juden in Ouarzazate.
Nach der Besichtigung der belebten, wirklich auch grossflächig zerstörten Altstadt versuchen wir es ein zweites Mal: die Stadt zu verlassen. Diesmal gelingt es uns anstandslos, und schon sind wir auf der legendären N9 hoch in den Norden in Richtung Grosser Atlas.
P.S.: Ouarzazate wird als «marokkanisches Hollywood» bezeichnet, weil die Stadt ein bedeutendes Zentrum der internationalen Filmindustrie ist. Die beeindruckende Wüstenlandschaft, historischen Kasbahs und traditionellen Berberdörfer bieten eine perfekte Kulisse für zahlreiche Film- und Fernsehproduktionen. Ein wichtiger Grund für den Erfolg als Filmstadt sind die Atlas Film Studios, eines der grössten Filmstudios der Welt. Seit den 1980er-Jahren wurden hier zahlreiche internationale Filme und Serien gedreht, darunter: Lawrence von Arabien (1962), Gladiator (2000), Die Mumie (1999), Königreich der Himmel (2005) oder eben Game of Thrones (Szene in Pentos). Und da wir gar kein Interesse an Drehorten und Filmstudios haben, haben wir weder die Filmstudios noch irgendwelche anderen «arg so wichtigen» Drehorte besucht. Naja, fast. Aber davon später.





















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