Baltikum – Die versteckte Stadt: Sillamäe (Estland)

Baltikum – Die versteckte Stadt: Sillamäe Lesedauer etwa 5 Minuten.

Heute gibt es etwas, das es lange nicht gab: eine zeitweise verschwundene Stadt. Oder besser gesagt, eine unsichtbare, versteckte Stadt.

Sillamäe liegt im Nordosten Estlands am Finnischen Meerbusen und macht uns gleich mal neugierig, gerade wegen seiner geheimnisvollen Geschichte und seiner industriellen Vergangenheit. Die Stadt wurde erstmals 1502 erwähnt und entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einem mondänen Badeort für die russische Oberschicht aus Sankt Petersburg. Berühmtheiten wie der Komponist Tschaikowski und der Nobelpreisträger Pawlow verbrachten hier ihre Sommer. Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts setzte eine intensive Industrialisierung ein – vor allem im Bereich der Ölschieferverarbeitung –, die massgeblich zur Entwicklung der Stadt beitrug. Während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg entstanden in der näheren Umgebung Konzentrations- und Arbeitslager.

Nach 1944 wandelte sich Sillamäe zu einer streng geheimen und geschlossenen Stadt unter sowjetischer Besatzung. Sie verschwand von den Landkarten und war für Ausländer dauerhaft gesperrt. In dieser geheimen Stadt befanden sich Anlagen zur Urananreicherung, die für die sowjetische Atomindustrie und Nuklearwaffen von zentraler Bedeutung waren. Das Kombinat Nr. 7, wie die Uranfabrik genannt wurde, war ein streng gehütetes Geheimnis – die Post wurde etwa nur über Codeanschriften zugestellt und die Stadt durch Militär bewacht.

Was uns besonders fasziniert, ist, dass die Stadt trotz dieser Geheimhaltung nicht bloss funktional und grau war, sondern ein echtes architektonisches Kleinod im Stil des sowjetischen Neoklassizismus, dem sogenannten Stalin-Barock, mit verspielten Fassaden, breiten Alleen und repräsentativen Gebäuden wie dem Kulturhaus und dem Rathaus. Sogar eine monumentale Treppe, angelehnt an die berühmte Potjomkin-Treppe in Odessa, führt zum Rathaus und einem Park mit einer Statue des Titanen Prometheus – ein Symbol für die Atomenergie, die hier einst produziert wurde.

Heute sieht es alles irgendwie merkwürdig aus: restauriert, aber leer. An der Allee treffen wir einen deutschen Historiker, mit ihm plaudern wir kurz. Auf den Parkbänken sitzen russisch sprechende Männer, eher ungepflegt, beim morgendlichen Bier. Man grüsst freundlich, scheinbar kennt man derlei Touristen hier.

Wir fragen uns, wie das Leben hier wohl ausgesehen hat? Die Menschen, die hier lebten, waren vor allem Arbeiter und Wissenschaftler, die in der Uranfabrik und anderen Betrieben der Rüstungsindustrie tätig waren. Ihnen wurde ein komfortables, oft sogar luxuriöses Leben geboten (sagt man, lesen wir…), um sie für ihre wichtige Aufgabe zu motivieren. Die Stadt verfügte über moderne Wohnungen, reichhaltige Konsumangebote, kulturelle Einrichtungen und Freizeitmöglichkeiten – all das war selbst in der Sowjetunion eher unüblich. Dennoch war das Leben streng überwacht, und die Geheimhaltung wurde rigoros durchgesetzt.

Die Bevölkerung setzte sich aus Zuwanderern aus anderen Teilen der Sowjetunion zusammen, vor allem aus russischsprachigen Menschen. Die ursprüngliche estnische Bevölkerung wurde grösstenteils verdrängt. Neben den regulären Arbeitskräften kamen auch viele Gefangene und ehemalige Gulag-Häftlinge zum Einsatz, die unter oft harten Bedingungen arbeiten mussten. So herrschte in Sillamäe ein Spannungsfeld zwischen scheinbarem Wohlstand, strenger Kontrolle und belastendem Alltag.

Nach der Schliessung der Urananlagen 1989 und dem Ende der Sowjetunion 1991 öffnete sich Sillamäe wieder, doch noch heute prägt die sowjetische Vergangenheit das Stadtbild und das Leben der Menschen. Die ursprüngliche Architektur wurde mehrheitlich erhalten und macht Sillamäe zu einem seltenen Beispiel für das stalinistische Erbe, das vor Denkmalschutz steht, wenn auch dieser umstritten ist. Denn für viele Estinnen und Esten ist die Erinnerung an die sowjetische Besatzung eng mit Unterdrückung und Fremdbestimmung verbunden.

Wir fühlten uns hier nicht wohl, die Stadt fühlte sich protzig, jedoch leer und riesig, jedoch verlottert an. Für uns nur ein kurzer Stopp am Morgen, eine gute Stunde reichte uns für den Besuch.

Quellen:

leben pur

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Rachel
Rachel
1 Monat zuvor

Hallo ihr lieben.
Ich verstehe, dass ihr euch da nicht wohlgefühlt habt.
Man merkt es sofort an der Art wie du schreibst und den Bildern.
Dein Bericht fühlt sich für mich an wie:
Ja, ganz nett, aber viel zu traurig und düster. Nichts wie weg hier!

Weiterhin eine gute und schöne Reise.
🤗