Finnland – auf Spurensuche: Die ersten Bären. Oder so ähnlich. 

Finnland – auf Spurensuche: Die ersten Bären, oder so ähnlich  Lesedauer etwa 9 Minuten.

Nun geht es endlich auf Bärensuche! Natürlich wissen wir, dass es hier in Karelien Bären gibt, und natürlich werden wir diese finden. Wir fahren eine malerische Strecke entlang der Grenze. Es gibt diese östliche Bundesstrasse, die fast autobahnähnlich in Richtung Norden führt. Zwischen dieser und der Grenze schlängeln sich schmale Landstrassen und noch kleinere Waldwege. 

Und natürlich wählen wir die kleinen Waldwege. Denn ein Bär hat sicherlich keine Lust auf Landstrassen. Er wird sich wohl im Wald verstecken. Da wir gestern oder vorgestern bereits Bärenhaufen entdeckt haben, hoffen wir, dass der Bär inzwischen auf uns wartet und sich zeigt. So zumindest unser Plan. In der Nähe befindet sich auch eine Bärenbeobachtungsstation. 

Wir fahren dorthin, schauen uns um, und sind jedoch nicht sonderlich begeistert. Möglicherweise stehen wir uns einmal mehr selbst im Weg. Als wir ankommen, erfahren wir, dass es erstens wahnsinnig teuer ist. Zweitens muss man abends um fünf in eine Hütte gehen und darf sich bis morgens um sieben kaum bewegen. Diese Hütte hat eine grosse Glasfront, und man könnte in den Nachtstunden, die hier noch relativ lange hell sind, Bären beobachten. 

Die Fotos auf der Webseite zeigen wunderschöne Bilder und sprechen von einer 93-prozentigen Bären-Sichtungswahrscheinlichkeit. Doch irgendwie wollen wir es dann doch nicht machen, weil erstens Finnland schon ziemlich an unserem Budget zehrt (Finnland ist nämlich gar nicht so günstig) und zweitens lesen wir, dass die Bären dort angefüttert werden und eigentlich eher angelockt werden. Letzteres wäre uns mittlerweile fast egal, wenn wir endlich mal Braunbären sehen könnten.

Ein paar Strassen oder Waldwege weiter finden wir einen wunderschönen Stellplatz zum Übernachten. Zudem bin ich eine erfahrene Spurensucherin: habe ich doch in meiner Jugend bücherstapelweise mit Winnetou, Old Shatterhand und all meinen Freunden dort in meiner Fantasie Bären-Spuren gelesen.

Und wenn die Bären nur ein bisschen nett wären, könnten sie sich ja auch dort sehen lassen. In der Bärenbeobachtungsstation darf man keine Geräusche machen. Man muss nicht nur die Schuhe ausziehen; man muss sogar mit Wollsocken durch die Räume gehen. Man darf nicht klappern, nicht scheppern usw. 

Das hat uns dann schon irritiert, weil wir jetzt erstmal direkt auf unserer Bärenlichtung kochen. Und natürlich wird da geklappert, beim Kochen und nochmal beim Abwasch. Also so richtig bärenbeobachtungsmässig sind wir noch nicht drauf. Aber wir vertrauen auf die Gunst der Bären. Nach dem Abendessen ziehen wir uns also zurück; schlafen natürlich heute nicht. Wir machen heute durch. 

Ich weiss nicht, wann wir das letzte Mal wirklich durchgemacht haben. Das ist schon verdammt lange her, und wir erinnern uns noch daran, wie unsere Kinder mal durchmachen wollten und dann irgendwann zwischen eingeklemmten Sofakissen doch eingeschlafen sind. Darüber mussten wir lachen. Heute sind wir wohl diejenigen, die irgendwann einschlafen. Jetzt sitz-liegen wir also im Bett. Es ist taghell, und es ist Nacht. 

So langsam macht sich der Blick aus dem Fenster im Nacken bemerkbar – wir schauen schon den ganzen Abend schräg hinaus. Und für mich wird’s zusätzlich knifflig, weil ich mit Brille liegen muss, um draussen überhaupt etwas erkennen zu können.

Die Spannung hält sich in Grenzen, dafür wird die Luft langsam schwer. Irgendwann fällt mir auf, dass mein Mitbeobachter neben mir immer gleichmässiger atmet. Es dauert nicht lange, da höre ich den ersten Bären – allerdings nicht vor dem Fenster, sondern drinnen. Und zwar schnarchend.

Also gut – ich bin heute offenbar allein auf nächtlicher Bären-Sichtungstour. Auch mir fallen allmählich die Augen zu, aber ich spüre es ganz deutlich: Heute ist der Tag. Heute werde ich Bären sehen. Immer wieder schleiche ich mich leise nach vorne, spähe durch unsere Felix-Fenster, linse vorsichtig durch die Seitenfenster. Das Dachfenster traue ich mich natürlich nicht lautstark zu öffnen – also krabble ich wieder zurück ins Bett und werfe von dort aus einen Blick durch die Fenster am Heck.

Irgendwann starre ich so lange in den sommerlich hellen Wald, dass sich plötzlich alles zu bewegen scheint. Ich sehe Bäume wanken, glaube, Gestalten zwischen den Stämmen zu erkennen – vielleicht Menschen, vielleicht Tiere. Mein Blick spielt mir Streiche. Doch dann, halt – jetzt sehe ich wirklich etwas!

Ein heller und ein dunkler Bär schieben sich langsam durchs Dickicht. Ganz leise tippe ich Gerd an und flüstere (oder rufe?): «Steh auf! Steh auf! Jetzt sind die Bären da! Die Bären sind da! Du musst unbedingt aufstehen!» Sofort ist er wach. Sofort schaut er in die Richtung und er sieht sie auch, die beiden Bärenrücken, die sich durch das Unterholz bewegen. 

Und Tatsache, die Bären bewegen sich. Langsam, aber sicher. Wir müssen unseren Platz wechseln und schleichen nach vorne, um von dort besser beobachten zu können. Da ja mein Gerd ein bisschen besser gucken kann als ich, sieht er zuerst, dass unsere Bären Geweihe haben. 

«Oh wow, wir sehen Elche! Auch toll!»

Okay, wenn das jetzt keine Bären sind, ist das auch nicht schlimm – Elche sind ja schliesslich auch wunderbar! Der vordere ist etwas grösser, und der hintere: ein weisser Elch. In meiner ganzen Aufregung – und ich habe das zum Glück alles auf Video, denn ich habe mitgefilmt – sage ich: «Du, weisse Elche sind ja wirklich ganz besonders selten. Jetzt haben wir etwas richtig Besonderes gesehen. Traumhaft!»

Und weil die Elche so freundlich zu uns sind, passieren sie genau den kleinen Waldweg vor unserem Ausguck, stehen für einen Moment im perfekten Mitternachtslicht, trotten langsam hinüber, schauen zu uns herüber, laufen weiter und verschwinden schliesslich im Wald. Wir sind beide völlig begeistert. Und während ich noch überglücklich bin über unseren Elch- bzw. Bärenfund, sagt Gerd ganz nebenbei:

«Du, sag mal – das Geweih sah aber gar nicht schaufelförmig aus. Eher wie das von einem Rentier. Was meinst du?»

Ich halte inne. Das würde einiges erklären. Vor allem, warum der hintere Elch – also das vermeintliche Tier – weiss war. Denn viele Rentiere sind ja hell. Und dieser hatte gar kein Geweih. Und irgendwie – je mehr ich darüber nachdenke – passt alles viel besser zu Rentieren: Sie ziehen in Gruppen durchs Land, tauchen in der Dämmerung auf, und sie sind erstaunlich wenig scheu. Sie haben keine schaufelförmigen Geweihe. Alles passt! Aber egal. Unsere Herzen schlagen hoch. Wir sind mega begeistert. 

Unsere ersten Rentiere hier in Finnland! Und wir sind völlig aus dem Häuschen. An Schlafen ist bei mir gar nicht mehr zu denken. Okay – zugegeben, es war vielleicht auch ein kleines bisschen aufregend, erst einen Bären zu sehen, der sich dann in einen Elch verwandelte, nur um am Ende als Rentier an uns vorbeizuziehen.

Das ist ja das Schöne an (m)einer blühenden Fantasie – man kann sich über jedes einzelne Detail freuen!
Während mein neben mir liegender Tierbeobachter längst wieder selig schlummert, sitze ich also weiter halb aufgerichtet da, mit der Brille auf der Nase, den Kopf an die Fensterscheibe gelehnt – und halte weiter Ausschau.

Vielleicht taucht ja noch ein weiteres Rentier auf. Oder ein Elch. Vielleicht ein Fuchs oder ein Hase? Wer weiss? Das Einzige, was hier wirklich zahlreich ist, sind – natürlich – die Mücken.

Irgendwann werde ich vom Lachen wach. Gerhard neben mir fängt auch an zu lachen. Wie spät es ist, weiss ich nicht – drei Uhr? Vier Uhr? Offenbar bin ich quer im Bett eingeschlafen, halb sitzend, halb liegend, mit Brille schräg auf der Nase und den Kopf an die Scheibe gelehnt. Sicher ein ziemlich skurriles Bild. Zum Glück gibt es davon kein Foto – und das ist vielleicht auch besser so.

Aber was bleibt, ist dieses grosse Staunen. Denn obwohl wir wissen, dass wir in den nächsten Tagen noch viele Rentiere sehen werden – ganz Lappland scheint voll davon – bleibt dieser Augenblick etwas ganz Besonderes.

Es war einfach traumhaft schön. Diese stille Begegnung, wie die beiden aus dem Wald traten, kurz auf dem Weg stehenblieben, uns ansahen – und dann langsam weiterzogen. Ich glaube, das waren die zwei schönsten Rentiere, die wir je gesehen haben.

Und genau dieses Staunen, diese Verbundenheit mit der Natur, das macht solche Momente für uns unvergesslich.

leben pur

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