
Längerer Beitrag – schneller Überblick:
Eigentlich wollen wir die Kvarken gar nicht verlassen. Diese Inselwelt verkörpert für uns den Inbegriff des Sommers: hell, weit und friedlich. Wir sitzen auf einer Felsenplatte am Wasser, lassen die Beine baumeln und denken: So fühlt sich Urlaub an. Und das Beste daran: Der richtige Urlaub steht uns noch bevor.
Ende Juli bekommen wir Besuch. Unsere liebe Freundin hat sich angekündigt, und wir haben zwei Wochen komplett frei. Keine Meetings, keine Deadlines, kein «nur schnell mal E-Mails checken». Gerd plant sogar, den Laptop nicht einmal zu öffnen. Wobei, ehrlich gesagt, ich das noch nicht ganz glauben kann. Wer allein für die IT einer ganzen Firma verantwortlich ist, hat selten wirklich Pause.
Aber wir hoffen einfach mal. Bis dahin wollen wir noch ein bisschen was erleben. Und obwohl wir uns kaum von den Kvarken lösen können, zieht uns eine Sache doch ins Landesinnere: das Tangofestival in Seinäjoki.
Finnischer Tango – Melancholie mit Tanzschuhen
In Finnland gibt es viele Festivals im Sommer. Metal, Rock, Indie, Jazz – alles dabei. Wir sind zwar keine Fans der harten Gitarrenriffs, aber ein bisschen neugierig auf das Ungewöhnliche. Also stolpern wir über das Tangofestival – und sind direkt fasziniert.
Warum, bitteschön, ausgerechnet Tango? Warum nicht Walzer, Swing oder irgendwas Nordisches?
Weil Tango hier in Finnland eine echte Herzensangelegenheit ist. Er klingt anders als in Argentinien – zurückhaltender, fast schüchtern, aber tief. Die Texte sind melancholisch (sagt man), erzählen von Abschied, langen Wintern, von Sehnsucht und unerfüllter Liebe. Kein Wunder, dass der Tango die finnische Seele so gut trifft.
Schon in den 1950er-Jahren war er hier überall: im Radio, auf Dorffesten, in Tanzpavillons. Und heute noch gibt es die «Lavatanssit» – Tanzabende unter freiem Himmel, mit Live-Band und viel Gefühl. Es ist mehr als ein Tanz, es ist ein Lebensgefühl.
Tangomarkkinat
Wir fahren also nach Seinäjoki – laut Beschreibung die Tangometropole Finnlands. Dort findet jährlich das grösste Tangofestival des Landes statt: die Tangomarkkinat. Seit 1985 pilgern zehntausende Menschen in diese westfinnische Stadt, um zu tanzen, zu hören, zu singen. Es gibt Wettbewerbe, Live-Konzerte, etliche Tanzflächen und sogar die Wahl des Tangokönigs oder der Tangokönigin.
Unsere Anreise ist erstaunlich unkompliziert, finnisch eben: am Freitag, dem vorletzten Festivaltag, parken wir fast direkt vor dem Eingang. Zwei Festivalbändchen für je 59 Euro später sind wir mittendrin: zwischen Musik, Menschen, Essständen, Handwerkskunst – und ganz viel Tanzfläche.
Und was hören wir? Nicht nur klassischen Tango, sondern auch jede Menge Schlager, Volksmusik und nostalgische Hits. Aber erstaunlicherweise funktioniert das alles mit den gleichen Schritten – und das Publikum macht begeistert mit. Wir gehören mit Anfang/Mitte 50 zu den jüngeren Besuchern, zumindest tagsüber. Am Abend mischt sich dann doch mehr junges Publikum unter die Tanzenden.
Olavi Virta, der grosse Tangostar Finnlands, fehlt natürlich nicht. Sein Lied «Hopeinen kuu» – der silberne Mond – erklingt mehrfach. Ein Klassiker, der auf keiner Tanzfläche fehlen darf.
https://open.spotify.com/intl-de/track/5QXBI1Ib2sF68cDb0NiRxz?si=a46a2a453bf74d95
Karaoke – ernsthaft, wild und voller Herz
Neben dem Tanz zieht uns noch etwas anderes in seinen Bann: Karaoke. Es gibt eine grosse Karaokebühne mitten auf dem Gelände, und was wir dort erleben, ist, sagen wir mal: intensiv.
Zugegeben: Die Finnen singen nicht unbedingt schön. Aber sie singen mit einer Inbrunst, die uns fast rührt. Manche mit zitternder Stimme, manche überraschend stilsicher – aber alle mit Herz. Und das Publikum? Hört zu. Respektvoll. Niemand lacht.
Wir erfahren später, dass Karaoke in Finnland nicht nur Unterhaltung ist, sondern fast ein Kulturgut. Eine Art Therapie, ein Mutakt, ein Stück Gemeinschaft. Es gibt Dörfer mit Karaokebars in Tankstellen, Fähren mit Sangeswettbewerben und Familien, die zuhause eine eigene Playlist haben. Ein finnischer Mann, der sonst kaum mehr als ein «Joo» sagt, verwandelt sich auf der Bühne plötzlich in einen gefühlvollen Sänger – und alle nicken anerkennend. Ist das nicht berührend?
Trotzdem erschliesst sich uns die Faszination dennoch nicht ganz. Uns fehlt wohl die nötige Portion Mut, oder vielleicht auch der Alkoholpegel. Aber es ist faszinierend zu sehen, mit welcher Ernsthaftigkeit die Finnen singen. Zwei Stunden Wartezeit für einen Song? Kein Problem. Und getanzt wird trotzdem – selbst, wenn der Gesang schief klingt.
Wir gehen erst spät am Abend zurück zum Felix. In unseren Ohren klingt noch ein Schlager nach, an unseren Armen baumeln noch die Bändchen – und in unseren Gedanken hallt der ganze Tag wider.
So viel Gefühl, so viel Herzlichkeit hätten wir den Finnen gar nicht zugetraut. Und vielleicht ist das ja das grösste Geschenk dieser Reise: dass wir unsere Vorurteile verlieren. Takt für Takt. Wir fahren durch die Nacht, und haben wieder mal ein bisschen mehr kapiert von diesem Land – das still, zurückhaltend und doch so voller Leben ist.















Merci fürs «Mitreisen»
Du denkst, unsere Reiseerlebnisse könnten auch andere interessieren? Dann kannst du den Beitrag ruhig teilen. Per E-Mail oder wie du das auch immer möchtest.
Ausserdem kannst du, falls du es noch nicht getan hast, unseren Newsletter abonnieren. Hier bekommst du immer, wenn wir etwas Neues veröffentlichen oder einmal die Woche freitags alle unsere Erlebnisse in deine Mailbox: leben-pur.ch/newsletter
Wir freuen uns auch sehr über deine Ansichten, deine Tipps oder deine Fragen. Kommentiere doch einfach auf den Beitrag!Vortrag Kamele, Kulturen & viele Kontraste Leben-pur reisen mit dem Camper durchs geheimnisvolle Persien
05.06.26; 20.30 Uhr Beim Sahara-Club-Treffen in Westhofen / Rheinland-Pfalz Sowie man sich anmelden kann, teilen wir den Link hier.

Soooo schööön. 🫶😍