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Wir stehen am Ufer des Saimaa-Sees, als das leise surrende Elektroboot anlegt. Es ist warm, finnland-sommerwarm, etwa 18 Grad. Die Sonne blinzelt immer wieder durch die Wolken, und wir sind voller Vorfreude.
Heute wollen wir auf dem grössten See Finnlands eine der seltensten Robbenarten der Welt entdecken: die Saimaa-Ringelrobbe.
Unser Guide Arto begrüsst uns herzlich. Seit Jahrzehnten ist er ein Experte für diese Robben und führt nahezu alle Gäste der Region zu ihnen. Er kennt die Natur des Saimaa-Sees wie seine Westentasche. Schon beim Ablegen erklärt er uns, dass der See mit seinen unzähligen Inseln, Buchten und Wasserwegen wie ein riesiges Labyrinth wirkt – grösser als Belgien, rund 150×250 Kilometer weit. Ein ideales Rückzugsgebiet für eine scheue Art wie die Saimaa-Robbe.
Wir gleiten fast lautlos übers Wasser. Arto erzählt uns viel über die Robben, auch wenn wir heute keine zu Gesicht bekommen. Das sei nichts Ungewöhnliches, beruhigt er uns: Die Tiere verbringen rund 80 Prozent ihrer Zeit im Wasser und kommen nur alle drei Minuten kurz zum Atmen an die Oberfläche. Im Frühling sonnen sie sich manchmal auf den Steinen, aber meist bleiben sie unentdeckt – gut getarnt mit ihrer graubraun gefleckten Zeichnung, die bei jeder Robbe einzigartig ist, fast wie ein Fingerabdruck. Manche haben sogar Namen, erzählt er uns.
Besonders berührt uns die Geschichte dieser Tierart: Noch vor rund 45 Jahren gab es nur etwa 100 Exemplare. Heute leben wieder rund 500 Robben im Saimaa-See – ein Erfolg, der vor allem dem konsequenten Schutz und dem Engagement von Forschern und Freiwilligen zu verdanken ist. In jedem Winter durchkämmen Biologen und Helfer die Inseln und suchen in Schneehöhlen nach feinen Babyhaaren, um die Geburten zu zählen – eine aufwändige und liebevolle Methode.
Etwas verwundert sind wir natürlich schon, warum es an einem geschlossenen See mit Süsswasser tatsächlich Robben gibt. Und auch das erfahren wir: Der See war einst Teil der Ostsee. Wenn ich „einst“ sage, reden wir von 9000 Jahren zurück. Irgendwann senkte sich das Meer oder erhob sich die Erde. So genau weiss ich es auch nicht mehr. War ja nicht dabei, und der Saimaa-See trennte sich sozusagen von der Ostsee.
Zurück blieben ein paar Robben, die sich an das Süsswasser gewöhnten und hier überlebten. In den 30er, 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts galt die Robbe tatsächlich als Feind, nämlich als Fressfeind für die Fische.
Man jagte die Robben, um mehr angeln zu können. Zudem verfingen sich viele Robbenbabys in den Plastiknetzen der Fischer. Irgendwann startete man ein Robbenschutzprogramm, das besagte:
Erstens, keine Robben mehr schiessen zu dürfen. Zweitens, keine Kunststoff-Fischer-Netze mehr in der Zeit, in der die Babys anfangen zu schwimmen, also im Frühling. Drittens, bestimmte Inseln, auf denen die Robben brüten, gar nicht mehr zu beangeln.
Doch wie schaffte man es, in den Köpfen der Finnen aus dem Hass gegen die Robbe Liebe für die Robbe zu entwickeln?
Natürlich war viel Aufklärung nötig. Die Kinder wurden in den Schulen unterrichtet, wie einzigartig die Robbe ist und wie wichtig ihr Schutz. Mittlerweile gibt es sogar ein Robbenlied, das praktisch jedes Kind in Finnland kennt und überall gesungen wird. Auch Arto hat es mit uns gesungen und uns den Text gegeben. Ich habe ihn fotografiert. Also den Text. Und ihn später übersetzt. Könnte auch ein deutscher Schlager sein. Aber es war dennoch schön, das Lied zu hören und mit der kleinen Reisegruppe, mit den acht Menschen im Boot, zusammen zu versuchen, es zu singen.

Arto bringt uns zum Schmunzeln, als er die Robben mit den Finnen vergleicht: ruhig, zurückhaltend, keine Fans von Gruppenreisen. Sie leben meist allein und fressen am Tag etwa drei Kilogramm kleine Fische. Im Spätsommer fressen sie sich eine bis zu acht Zentimeter dicke Fettschicht an – eine Notwendigkeit für den langen finnischen Winter. Ob er auch das meint mit der Ähnlichkeit zu den Finnen? Können wir so nicht bestätigen.
Wenn die Robben geboren werden, sind sie fünf Kilogramm schwer, aber als Erwachsene wiegen sie etwa 60 Kilogramm. Sie sind tatsächlich bis zu 1,30 Meter lang, also ziemlich gross, und sie werden etwa 30 Jahre alt. Angeblich gibt es hier bis zu 400–450 Robben in diesem Gebiet. Arto rechnet aus, dass jede Robbe etwa neun Quadratkilometer Seefläche beleben kann. Deswegen ist es wahrscheinlich auch ziemlich schwer, Robben zu sichten.
Obwohl wir heute keine Robbe zu Gesicht bekommen haben, fühlen wir uns dieser faszinierenden Art nun näher als je zuvor. Wir haben viel über ihren Lebensraum, ihren Schutz und die unermüdliche Arbeit der Menschen gelernt, die sich ihrer Bewahrung verschrieben haben. Schon die stille Fahrt durch die weite, unberührte Wasserlandschaft des Saimaa-Sees war ein Erlebnis für sich. Ein Ort, an dem wir die Bedeutung von Ruhe, Geduld und Rücksichtnahme tief verinnerlichen konnten.
Leider kann ich keine Fotos der Robben präsentieren, aber ich habe einige Links zusammengestellt, über die man diese beeindruckenden Tiere sehen kann:
- Tour mit Arto: Lakeland GTE
- WWF Finnland: https://wwf.fi/wwf-lehti/wwf-lehti-3-2017/itameren-unohdettu-uhanalainen/ & https://wwf.fi/tiedotteet/2017/06/nesting-of-the-extremely-endangered-saimaa-ringed-seal-was-saved-with-man-made-snow-banks/
- Saimaa Nature and Seal Center: Saimaa Nature and Seal Center
- Forschungsprojekt Saimaa-Ringelrobbe: Norppalife
Diese Links bieten die Möglichkeit, die Saimaa-Ringelrobben in ihrer natürlichen Umgebung zu bewundern und mehr über die wertvolle Arbeit zu erfahren, die zu ihrem Schutz geleistet wird.


















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