Finnland – Hunderte Rentiere & wenn die Intuition flüstert: Lass uns hier nicht bleiben

Finnland – Hunderte Rentiere & wenn die Intuition flüstert: Lass uns hier nicht bleiben Lesedauer etwa 9 Minuten.

Auf kleinen Wegen nach Lappland 

Wir entscheiden uns erneut für die kleinen Waldwege, die schmalen, abgelegenen Strassen, anstatt der grossen Bundesstrasse, die weiter in den Norden führt. Wir befinden uns bereits nördlich des Polarkreises. Dass wir ihn überquert haben, bemerken wir kaum. Irgendwann steht da ein unscheinbares Schild am Strassenrand. Es sieht aus wie ein Zirkel oder vielleicht ein Tipi, nur eben ohne Stoff, nur das Gestänge. Was es genau darstellt, wissen wir nicht. 

Die Landschaft ist einfach atemberaubend. Überall erstrecken sich dichte, stille, endlose Wälder. Es hört gar nicht auf, schön zu sein. 

leben pur

Die Rentiere kommen 

Wir fahren in eine Region, in der wir ständig Rentiere sehen. Jedes Mal freuen wir uns wie Kinder. In Lappland, nördlich des Polarkreises, leben rund 200.000 Rentiere – mehr als es Menschen gibt. Und das spüren wir. Sie sind in Herden unterwegs, streifen frei durch die Landschaft und tauchen auch mitten in Dörfern auf. 

Die Tiere gelten als halbwild. Jedes Rentier gehört einem Hirten, oft aus der samischen Bevölkerung. Trotzdem bewegen sie sich frei durch die Natur. Sie sind nicht besonders scheu, was einerseits schön, andererseits aber auch gefährlich ist. Viele Rentiere werden jedes Jahr überfahren – sie stehen gern auf der Strasse oder laufen überraschend über die Fahrbahn. 

Zum Glück haben wir bisher keine Kollisionen. Wir halten immer an, warten geduldig, lassen sie passieren. Für uns und für die Tiere ist das die beste Lösung. 

Wundersame Wesen des Nordens: Was wir über Rentiere gelernt haben

In den unendlichen Weiten Lapplands begegnet man ihnen fast überall – auf verschlungenen Waldwegen, an den Rändern einsamer Strassen oder zwischen den silbrig schimmernden Birkenhainen. Mal stehen sie regungslos im weichen Moos, mal trotten sie gemächlich über eine sonnenbeschienene Lichtung. Und manchmal, mit einem Hauch von Neugier in ihren Augen, schauen sie einfach zurück, als wären wir die eigentliche Attraktion. Was surreal anmutet, ist hier oben Alltag: In dieser Region leben tatsächlich mehr Rentiere als Menschen – etwa 200.000 Tiere gegenüber rund 185.000 Einwohnern.

Halbwild und doch behütet

So frei die Tiere auch wirken mögen, ganz wild sind sie nicht: Jedes Rentier gehört einem Hirten. Rund 5.000 Rentierbesitzer gibt es in Finnland, darunter etwa 1.000 Angehörige der indigenen Sami. Zweimal im Jahr werden die Tiere zusammengetrieben – im Frühsommer und Herbst –, um sie zu markieren, zu impfen oder auszusortieren. Eine jahrhundertealte Praxis, die noch immer im Einklang mit dem Rhythmus der Natur geschieht.

Gebaut für das Leben im Norden

Rentiere sind wahre Wunderwerke der Anpassung. Ihre Hufe verändern sich je nach Jahreszeit: weich und griffig im Sommer, hart und scharfkantig im Winter – ideal für Schnee und Eis. Ihr Fell ist unglaublich dicht und besteht aus hohlen Haaren, die Wärme speichern wie kaum ein anderes Tier – fast vergleichbar mit dem Eisbären. Und sie sehen Dinge, die uns verborgen bleiben: Rentiere können UV-Licht erkennen. Damit finden sie auch im tiefsten Schnee Nahrung und erkennen Gefahren schneller.

Leichtfüssige Ausdauerläufer

Die Geweihe der Rentiere sind nicht nur imposant – sie wachsen auch mit Rekordtempo: Bis zu zwei Zentimeter pro Tag. Und anders als bei Hirschen behalten viele weibliche Tiere ihr Geweih bis nach der Geburt ihres Kalbes. Apropos: Die kleinen Rentiere kommen im Mai oder Juni zur Welt und stehen oft schon wenige Stunden später auf eigenen Beinen. Bald beginnen sie zu grasen, und schon im Sommer spriessen die ersten Geweihspitzen.

Reisende auf vier Hufen

Lapplands Herden sind ständig unterwegs. Sie legen jedes Jahr bis zu 5.000 Kilometer zurück – immer auf der Suche nach frischem Futter. Und wenn es sein muss, schwimmen sie auch über Flüsse und Seen. Ihre kräftigen Beine und das isolierende Fell helfen ihnen dabei mühelos, auch kalte Gewässer zu durchqueren.

Kulturelle Verbindung mit den Sami

Für die Sami, das indigene Volk des Nordens, sind Rentiere mehr als nur Nutztiere. Sie sind tief verankert in Geschichte, Alltag und Spiritualität. Wer mehr darüber erfahren möchte, kann zum Beispiel das Sami-Museum Siida besuchen. Dort taucht man ein in eine Welt von Joik-Gesängen, jahrtausendealten Traditionen und dem respektvollen Umgang mit Natur und Tier.

Ein Blick in die Zukunft

Nicht nur die halbwilden Hausrentiere sind Teil dieser Landschaft. In Ostfinnland, etwa rund um Ilomantsi, gibt es Projekte, die versuchen, auch die ursprünglichen Waldrentiere wieder anzusiedeln. Durch Renaturierung von Moorlandschaften sollen sie ab 2028 wieder heimisch werden – ein hoffnungsvolles Zeichen für das wilde Erbe Finnlands.

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Abschied von der Ostgrenze 

Langsam denken wir wieder ans Umkehren. Wir fahren dem guten Wetter ein wenig entgegen, wollen bald wieder Richtung Süden. Wir wissen, dass wir heute ein letztes Mal an der eher karelischen, also östlichen Grenze Finnlands entlangfahren. Oder ist es schon die lappische Grenze?

Wir hoffen noch immer auf einen Bären – es wäre so ein besonderes Erlebnis. Aber ich kann es vorweg nehmen: Auch diese Nacht wird es keinen geben. Zumindest nicht für uns. 

Die Strasse, auf der wir unterwegs sind, verdient den Namen kaum. Es ist eher ein Holperweg, fast schon eine Piste. Wunderschön – und einsam. Mein Google Maps springt wild hin und her. Teilweise zeigt es, dass wir nur noch 500 Meter von der russischen Grenze entfernt sind. 

leben pur

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Das erzeugt ein seltsames Gefühl. Ich spüre keine konkrete Gefahr, aber diese Grenzschilder, die immer wieder auftauchen, mahnen zur Vorsicht. Vielleicht trage ich da auch noch alte Erinnerungen in mir – an Zeiten am DDR-Grenzstreifen. Irgendwas daran macht mich unruhig. 

Trotzdem finden wir einen traumhaft schönen Platz. Wir machen ein Feuer. Es ist wirklich kalt, der Wind pfeift, und die Mücken sind in Massen da. Trilliarden, gefühlt. Wir wussten zwar, dass es hier Mücken gibt, aber nicht, wie heftig sie auftreten. Und vor allem: wie sie uns nerven!

Also räuchern wir uns selbst ein, lassen den Rauch um uns kreisen und finden es trotzdem richtig gemütlich. Wir stehen mitten im Wald, mit Blick auf einen stillen See. Unsere Kleidung riecht bald, als wären wir Räucherfisch, aber das gehört dazu. Es fühlt sich ein bisschen an wie echtes Abenteuer. 

Unruhe in der nicht dunkel werdenden Nacht 

Die Sonne geht natürlich nicht mehr unter. Es bleibt die ganze Nacht hell. Gerd geht irgendwann schlafen. Ich bleibe noch ein wenig sitzen und stricke. 

Aber gegen halb eins merke ich: Ich will hier nicht schlafen. Irgendetwas in mir sagt, dass es nicht passt. Obwohl es schön ist, fühle ich mich nicht ganz wohl. Und wir haben da eine Regel: Wenn sich eine oder einer von uns nicht wohlfühlt, dann fahren wir. Ohne Diskussion. 

Gerd zieht sich wortlos an. Wir packen unser Kram zusammen. Wir sind ohnehin immer abfahrbereit – für alle Fälle. Innerhalb von fünf Minuten sind wir wieder unterwegs. Raus aus dem Wald. Und mitten in der Nacht erreichen wir unseren allerersten Campingplatz in Finnland. 

Wie es in Finnland so ist: Es gibt keine Schranke, kein Tor. Wir fahren einfach aufs Gelände. Es ist noch immer taghell. Wir suchen uns ein schönes Plätzchen, verdunkeln unseren Felix rundum und schlafen tief und fest. 

Und was wir schon lange nicht mehr gemacht haben: Wir schlafen aus. So richtig. Bis halb elf am nächsten Morgen. Der Campingplatz ist eine kleine Perle. Es gibt eine Sauna, ein nettes Café, einen kleinen Laden, gute Duschen, Waschmaschinen – und sehr freundliches Personal. Wir zahlen unsere halbe Nacht nachträglich und bleiben noch einen halben Tag. Es ist richtig schön hier. 

Im Rückblick merken wir, wie wichtig es für uns ist, dass wir jederzeit aufeinander achten, uns ernst nehmen. Wenn sich eine oder einer von uns unwohl fühlt, ziehen wir weiter. Und das fühlt sich gut an. 

Warum ich mich an dem Platz im Wald nicht wohlgefühlt habe, kann ich bis heute nicht genau sagen. Vielleicht war ich einfach zu müde, vielleicht war es zu einsam, zu nah an der Grenze. Vielleicht hat mich meine Fantasie in die Irre geführt. Aber genau das ist das Schöne an unserer Reise: Wir können spontan reagieren. Und manchmal führt uns so eine Unsicherheit zu einem Ort, der am Ende ein echtes Highlight ist. Der Campingplatz jedenfalls kommt ganz klar auf unsere Liste der Lieblingsübernachtungen.

Quellen:

leben pur

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