Finnland – Wo ist die Magie hin? – Unser Midsummer im Vorfreuden-Vakuum

Finnland – Wo ist die Magie hin? – Unser Midsummer im Vorfreuden-Vakuum Lesedauer etwa 6 Minuten.

Midsummer in Finnland

Wir sitzen nördlich des Polarkreises, mitten in Lappland, am Ufer eines stillen Sees. Die Sonne thront hoch am Himmel und weigert sich, unterzugehen. Während wir auf das glitzernde Wasser blicken, müssen wir über uns selbst schmunzeln. Über all die romantischen Vorstellungen, die wir von einem finnischen Midsummer hatten.

Eigentlich.

Eigentlich sollten wir es besser wissen. Eigentlich wissen wir längst, dass Erwartungen oft der direkte Weg zur Enttäuschung sind. Und dass es viel klüger wäre, einfach offenzubleiben – oder zumindest gründlich zu recherchieren.

Aber wie das so ist: Trotz unserer Lebenserfahrung – und obwohl wir schon ein paar Jahrzehnte durchs Leben gehen – gelingt uns das nicht immer. Das Gute daran: Wir können aus allem etwas machen. Meistens jedenfalls.

Unsere Vorstellung? Wir sehen kleine Dörfer vor uns, fröhliche Menschen in weissen Kleidern, Blumenkränze im Haar, Volksmusik, Blaubeerpfannkuchen, Grillduft, Lagerfeuer und herzliche Offenheit. Wir träumen von Begegnungen, Geschichten und Midsummer-Magie.

Ein bisschen zu sehr haben wir uns wohl vom schwedischen Midsummar-Bild leiten lassen.

Wir hätten hellhörig werden können, als uns an einer Raststätte eine junge Frau antwortet, als wir sie fragen, wie Midsummer in Finnland gefeiert wird: «Feiern? Wir sitzen im Mökki, gehen in die Sauna und trinken viel Bier.» – Aber wir glauben ihr natürlich nicht so recht.

Stattdessen durchforsten wir das Internet. Stundenlang. Nach Midsummer-Veranstaltungen in Finnland. Und tatsächlich werden wir irgendwann fündig: In Bomba soll ein Hotel ein Fest für seine Gäste veranstalten – mit allem, was unser Herz sich erhofft.

Wir fragen dort vorsichtshalber nach. Und ja – alles wird bestätigt: Lagerfeuer, Grillfest, Blaubeerkuchen, Tanz, Karaoke, DJ. Klingt gut. Also machen wir uns auf den Weg.

Am Freitag, dem Tag vor der Midsummer-Nacht, kommen wir an. Der Hotelparkplatz ist voll. Unsere Erwartungen auch.

Aber das Gelände wirkt leer. Und still. Wir schlendern herum, finden ein Café – immerhin geöffnet –, und trinken Kaffee. Allein. Also: wirklich allein. Wir fühlen uns wie die «einzigsten» Gäste – ein Wort, das man wohl nur an Orten wie diesem denken darf. (Mein Sprachen-Herz zuckt jedes einzige Mal schmerzhaft bei dem Wort «einzigste», aber wenn es je eine Steigerung von einzig, von allein, von einsam gibt, dann hier in Finnland!)

Wir entdecken den Grillstand. Auf einer riesigen Wiese steht ein Grill – eher handlich, fast schon privat. Dort stehen zwei Menschen: der DJ und der Grillmeister. Keine Gäste, keine Blaubeerpfannkuchen, keine Bratwürste, keine Stimmung.

Wir ändern unseren Plan und gehen früher zum Essen. Reservieren? Nein, brauchen wir nicht. Das Restaurant ist angenehm leer. Und das Essen – eine Überraschung! So gut haben wir lange nicht gegessen. Allein dafür hat sich der Ausflug gelohnt.

Frisch gestärkt machen wir uns auf zum See. Dort versammeln sich 50 bis 70 Menschen am Ufer, auf Holzstegen. Die Musik spielt seichten Schlager, genau zwei ältere Paare wippen im Takt. Zu genau einem einzigen Lied.

Das grosse Midsummer-Feuer? Wird auf einem Floss auf dem See entfacht. Ein kleines Boot fährt hin, zündet es an. Eine winzige Flamme entsteht. Der Applaus? Zwei Klatscher pro Person, vielleicht 15 Menschen insgesamt. Bis wir verstehen, was hier passiert, ist es auch schon wieder vorbei.

Wir sprechen kurz mit zwei finnischen Herren – ein netter Moment. Aber das Feuer brennt nun ohne grosses Aufsehen vor sich hin. Nach etwa 20 Minuten ist auch das Feuer-Happening vorbei, die Leute drehen sich um und gehen. Fertig Feuer!

Der Parkplatz leert sich. Nur noch ein paar Hotelgäste sitzen im Bademantel auf der Terrasse. Dass sie für das feuer extra aus der sauna kamen, sei ihnen schon mal hoch anzurechnen.

Also weiter zur Disco. In der Hotelbar läuft Musik, der DJ hat aufgebaut. Es ist schöne, finnische Rockmusik. Aber wir sind: sechs Menschen, drei Paare. Verteilt über den ganzen Raum. Man will sich bloss nicht zu nah kommen.

Wir holen unser Kartenspiel. Spielen, während der DJ Musik und dazwischen finnische Nachrichten und Wetterberichte präsentiert; wir haben das tatsächlich mit Google-Translate übersetzen lassen, wollten ja an der Unterhaltung teilhaben. Die Karaoke-Show? Bleibt unauffindbar. Vielleicht wurde sie abgesagt. Vielleicht war sie auch nur sehr geheim.

Dann plötzlich: Feueralarm. Laut. Grell. Keiner reagiert. Wir schon. Zahlen, gehen – und sehen draussen die Feuerwehr, die einen Fehlalarm am Computer korrigiert.

Fazit?

Unser Mittsommer in Finnland verlief völlig anders, als wir es uns ausgemalt hatten – stiller, verlassener, vielleicht auch ein wenig skurril. Keine Blumenkränze, kein ausgelassener Tanz, kein überwältigendes Feuerwerk der Gefühle. Stattdessen: viel Leere, ein köstliches Mahl, ein Grill für zwei, ein DJ ohne Publikum und ein Feueralarm als Höhepunkt des Abends. Und dennoch nehmen wir etwas Wertvolles mit. Denn Reisen bedeutet nicht nur, Postkartenmotive zu sammeln. Es bedeutet auch, Erwartungen loszulassen, neue Erfahrungen zuzulassen – und im besten Fall darüber zu lachen. Vielleicht war dieser Abend nicht magisch. Aber er war authentisch. Und genau deshalb bleibt er uns unvergesslich.

Und ein kleiner Nachtrag sei erlaubt:

Was wir erlebt haben, ist nur ein einziger Abend, an einem einzigen Ort, in einem grossen Land. Vielleicht war es einfach Pech. Vielleicht ist Midsummer anderswo ganz anders. Aber auch solche Erfahrungen gehören zum Reisen. Wenn nichts romantisch ist, nichts magisch, nichts wie erwartet – und es trotzdem gut ist.

Denn: Wir konnten bis zum Schluss darüber staunen und schlussendlich lachen. Und das ist doch am Ende das Wichtigste.

leben pur

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