
Es ist wieder einmal so weit: Kultur, Geschichte und atemberaubende Natur stehen auf unserem Plan. Diesmal führt uns der Weg nach Aït-Ben-Haddou. Doch da der Tag bereits fortgeschritten ist, suchen wir uns einen idyllischen Stellplatz. Die meisten Plätze, so haben wir recherchiert, liegen nahe der alten Stadt, in der Nähe von Hotels und Restaurants – und leider auch in der Nähe von bellenden Hunden, die die Nacht durchheulen. Das ist so gar nicht unser Ding.
Also lenkt Gerd unseren Felix ein wenig ins «Gjät» hinaus, über Schottersteine und holprige Wege, die eigentlich nur für Eselkarren gemacht sind. Oder durch sie entstanden sind, das wissen wir nicht genau.
Doch wir finden einen Platz, der es in sich hat: Wir stehen an einer Felsklippe, mit einem Blick direkt auf das in der Abendsonne orangerot leuchtende Aït-Ben-Haddou. Unten im Wadi (ein Wadi ist ein ausgetrocknetes Flussbett oder Tal, das nur saisonal oder nach starken Regenfällen Wasser führt) werden Touristen auf Kamelen herumgeführt. Vor der Stadt selbst wird gebaut, und sogar grosse Transporter fahren mit Baumaterialien durch das Wadi. Und wir? Wir stellen unsere gemütlichen Stühle in die Abendsonne und geniessen den Blick über das zauberhafte Tal. Und freuen uns schon auf morgen, wenn wir die historische Stadt erkunden.
Am Morgen lassen wir den Tag ganz gemütlich angehen. Gegen Nachmittag schaffen wir es endlich, hinüberzugehen zur verheissungsvollen alten Lehmstadt. Wir laufen durch die neue Stadt, vorbei an vielen Verkaufsständen, die für uns mittlerweile typische und immer dieselben Produkte anbieten. Es gelingt uns, freundlich, aber bestimmt zu kommunizieren, dass wir wirklich nichts kaufen wollen.
Durch das Wadi müssen wir stapfen, es gibt sogar ein kleines Wasserflüsschen namens Oued Ounila. Hier hat man kleine Stein- und Holzbrücken mehr oder weniger «gebaut», und schon stehen wir vor dem Tor einer der berühmtesten Ksars Marokkos – ein herausragendes Beispiel traditioneller Lehmbau-Architektur im südlichen Atlasraum.
Doch zuerst gilt es, Hürden zu überwinden. Normalerweise ist der Ksar, ein UNESCO-Weltkulturerbe, kostenlos zugänglich. Dennoch gibt es Eintrittsverlangen. «Für die Restauration», sagen sie. So richtig möchten wir ihnen das nicht glauben. Zahlen aber dennoch. Ein merkwürdiges Gefühl. Was sich Tage später, als wir die Stadt noch einmal besichtigen, bestätigt: An einem anderen Eingang der Kasbah müssen wir keinen Eintritt zahlen. Da haben sich wohl ein paar Männer ein paar Taler verdient. Nicht viel für uns, aber ein schales Gefühl bleibt.
Allerdings nicht lange – Ärgern ist eh Zeitverschwendung – denn dieser Ksar hat es in sich.
Entlang des Oued Ounila gelegen, war sie einst ein wichtiger Stützpunkt auf den Karawanenrouten zwischen Marrakesch und der Sahara. Allein beim Wort Karawane beginnt mein Herz an zu hüpfen, ich erinnere gerade unseren Besuch in den vielen Karawansereien im Iran. Die Struktur des Dorfes folgt sowohl der sozialen Organisation der Amazigh (Die Amazigh sind die indigene Bevölkerung Nordafrikas, die oft als Berber bezeichnet wird.) als auch den Verteidigungsbedürfnissen der Region.
Ursprünglich wurden die ersten Häuser auf einem steilen Felsen errichtet, umgeben von einer schützenden Mauer mit Türmen. Die schmalen, teilweise überdachten Gassen und die massiven, fensterlosen Fassaden der Gebäude trugen zur Sicherheit bei. Innerhalb der Mauern fanden sich charakteristische Elemente wie die Moschee, eine Karawanserei und ein zentraler Platz, auf dem öffentliche Versammlungen stattfanden.
Noch heute sind der Palmenhain, die alten Wasserleitungen und der Friedhof mit dem Grab eines Marabouts sichtbare Zeugnisse dieser faszinierenden Geschichte.
Ein besonderes architektonisches Element von Aït-Ben-Haddou ist der kollektive Getreidespeicher, das Ighrem, das weit mehr als nur ein Lagerraum war. Ursprünglich diente es als erste Wohnstätte der Siedler, bevor sich das Dorf weiterentwickelte. Später übernahm es neben der Vorratshaltung von Getreide, Öl, Datteln und sogar wichtigen Dokumenten auch politische Funktionen, indem es als Ort der lokalen Verwaltung diente. Heute sieht es dort oben etwas trostlos aus, dient vor allem dem Selfie-Wahn Tausender Touristen. Täglich.
Wir bummeln durch die engen Gassen und sind wieder einmal begeistert von den Lehmbauten hier. Und sogleich – bei einem Orangensaft auf einer wunderschönen Dachterrasse – muss ich ein wenig recherchieren.
Lehmbauten sind in Marokko seit Jahrhunderten fester Bestandteil der Architektur, insbesondere in den Berbergebieten des Atlasgebirges. Die Wahl dieses Baumaterials ist kein Zufall, sondern beruht auf seinen zahlreichen Vorteilen. Lehm bietet eine hervorragende klimatische Anpassung: Er speichert tagsüber die Wärme der Sonne und gibt sie nachts langsam ab, wodurch die Innenräume angenehm temperiert bleiben. Zudem ist Lehm überall verfügbar, leicht formbar und in Kombination mit Stroh und Holz eine kostengünstige Ressource. Ein weiterer Vorteil ist die Erdbebensicherheit, da Lehmbauten flexibel sind und Erschütterungen besser abfedern als massive Steinstrukturen. Gleichzeitig ist Lehm ein nachhaltiges Baumaterial – vollständig recyclebar und umweltfreundlich. Ob die Bauherren damals den Begriff „nachhaltig“ schon kannten? Wohl kaum.
Wir spazieren durch die Stadt, in die wir uns längst verliebt haben, blenden die unfassbar vielen Touristen (zu denen wir ja auch gehören) ein wenig aus, bewundern die Gassen, streicheln Kätzchen, trinken Tee und lassen gemütlich die Sonne untergehen. Denn was gibt es Schöneres, als in der Stunde der Dämmerung ein in den Hang gebautes Lehm-Wunderwerk anzuschauen?
Und weil es so wunderschön ruhig und zudem einsam auf unserem Stellplatz ist, schlafen wir gleich noch einmal dort. Am späten Abend kommt kurz die Polizei vorbei, fragt nach dem Woher und Wohin, schaut in unsere Reisepässe und wünscht uns eine gute Nacht.
PS. : Auch wenn die Filmindustrie normalerweise nicht unser Hauptinteresse weckt, können wir nicht umhin, einen kurzen Blick auf das faszinierende Schauspiel zu werfen, das sich vor unseren Augen entfaltet. Mit beeindruckender Präzision und Kreativität entsteht ein ganzes Neben-Dorf aus Pappmaché, das für einen Filmdreh errichtet wird. Hinter den Hügeln, verborgen vor den neugierigen Blicken der Filmkameras, werden riesige Zelte für die Crew aufgeschlagen, die wie eine geheime Stadt im Verborgenen wirken.
Dank seiner atemberaubenden Lehmbauarchitektur und der unverfälschten Atmosphäre hat sich das Dorf als begehrter Drehort für zahlreiche internationale Filme und Serien etabliert. Besonders das goldene Licht der Wüste, die labyrinthartigen Gassen und die majestätischen Festungsmauern verleihen ihm eine perfekte Kulisse für historische und epische Produktionen. Zu den bekanntesten Filmen, die hier gedreht wurden, zählen «Lawrence von Arabien» (1962), «Gladiator» (2000) und «Die Mumie» (1999). Auch Serien wie «Game of Thrones» nutzten die beeindruckende Szenerie – Aït-Ben-Haddou diente in der ersten Staffel als Kulisse für die Stadt Yunkai. Viele Szenen, die antike oder mittelalterliche Städte darstellen sollen, wurden hier inszeniert, da der Ksar wie eine Zeitkapsel wirkt. Noch heute können Besucher einige Orte wiedererkennen, die in weltbekannten Filmen zu sehen waren.


























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