Tschechien – von der Untätigkeit

Tschechien – von der Untätigkeit

Wir suchen uns einen Ort, an dem wir unseren Gedanken nachhängen können. Wir gönnen uns eine Zeit der Ruhe und irgendwie auch der Besinnung. Der Campingplatz ist leer, wir sind allein. Gut so!

Wir sind immer noch traurig, der Besuch in Theresienstadt hat uns richtig mitgenommen, emotional aus unserer Mitte gerissen. Was gut ist. Und was schmerzt. Aber auch dieser Schmerz darf sein. Wir lassen ihn zu und fühlen ihn tief.

In den letzten Wochen begleitet mich ein Buch, das ich richtig inhaliere, hin und her lese, viele Stellen anstreiche und viel über einzelne Passagen nachdenke. Es geht um das Nichtstun. Die Untätigkeit. Und um unser gesellschaftliches Bild davon.

Ich springe vorwärts in der Zeit, zu einem der Vorträge, die wir in der Schweiz halten werden (jetzt, wo ich das schreibe, kann ich sagen, gehalten haben). Wir werden immer wieder gefragt, ob uns die Abende ohne Zeitung, Fernsehen und Unterhaltung langweilig werden. Ganz und gar nicht, möchte ich sagen. Das Schönste ist, einfach da zu sein, nichts zu tun, einfach untätig zu sein.

Den Gedanken Raum zu geben, alles zu Ende zu denken. Vielleicht ein paar Runden stricken (für mich Meditation) oder eine Runde Karten spielen. Na gut, das ist auch kein Nichtstun, aber auch nichts wirklich Leistungsorientiertes.

Ich zitiere aus meinem kleinen lila Buch: «Da wir das Leben nur noch auf Arbeit und Leistung hin wahrnehmen, begreifen wir Untätigkeit als Defizit, das es schnellstmöglich zu beheben gilt. Die menschliche Existenz wird von Tätigkeit restlos absorbiert.». Und weiter: «Intensives Leben bedeutet heute vor allem mehr Leistung oder mehr Konsum.»

Erwischt: Ja, wir konsumieren viel. Vielleicht nicht Dinge, aber Orte, Begegnungen. Nehmen wir uns zu wenig Zeit auf unseren Reisen? Ist es wichtig, die Länder zu zählen? (Wir wissen wirklich nicht, wie viele Länder wir bereist und wie viele Kilometer wir zurückgelegt haben…).

«Ohne einen Moment des Zögerns oder des Innehaltens verkommt das Handeln zum blinden Agieren und Reagieren». So versuchen wir zu zögern, herumzusitzen, «Löcher in die Luft zu starren» und uns wirklich dem hinzugeben, was gerade ist. Was gerade sein muss. Wir werden belächelt, wenn wir bei Sonnenuntergang – und das ist in Mitteleuropa im Winter recht früh – in unseren Felix verschwinden, gemeinsam etwas essen und uns dann ins Nest zum Schlafen legen. «Schlaf ist der Höhepunkt körperlicher Entspannung, Langeweile der Höhepunkt geistiger Entspannung.» schreibt Byung-Chul Han.

leben pur

Wir schaffen es einfach nicht dauerhaft, nichts zu tun. Leere Zeit will gefüllt werden. Auch wir sind so konditioniert. Zu viel Arbeit in unseren Augen, zu viel Termindruck von Kundenseite und dann noch die eigene ständige Neugier. Was könnten wir uns ansehen? Gibt es heute Abend noch ein Konzert? Wen treffen wir wann und wo? Wie viele Vorträge sind genug, welche Vortragseinladung ist zu viel und sollte besser abgesagt werden?

Gar nicht so einfach, ein absolut selbstbestimmtes Leben zu führen. Selbstbestimmung macht auch Arbeit. Und nicht wenig. Denn der «Zwang zur Tätigkeit, zur Produktion, zur Leistung führt zur Atemlosigkeit».

Dieses Buch und die vielen Gedanken, die es enthält, zeigen uns, dass wir es versuchen sollten: weniger zu tun. Immer wieder nichts tun. Im Verzicht spüren wir die grösste Gabe. Verzicht nimmt nicht, er gibt.

Sicherlich steht unsere Entdeckerfreude dem Nichtstun im Weg. Aber wir sind darüber nicht unglücklich, sondern erkennen, dass die Pausen das Geschenk sind, das wir uns zwischendurch machen.

Wenn wir hier virtuell durch unser kleines (und mittlerweile recht umfangreiches) Reisetagebuch blättern, stellen wir fest, dass wir alles andere als untätig waren und sind. Klar, denn wir schreiben ja über Erlebtes und nicht über nicht Erlebtes. So reihen sich hier Tage voller Leben pur aneinander. Und die Tage dazwischen, die kleinen und grossen Pausen des Weniger- oder Nichtstuns finden hier seltener Platz.

Und wir spüren ganz tief in uns, dass diese selbstgegebene Mischung aus Aufregendem, Schönem und Nichtstun unserem Leben statt «Funktionieren» ein «Strahlen und Leuchten» gibt. Dafür sind wir dankbar.

Zurück zu unserer Reise: Als wir genug gefühlt, gedacht, reflektiert und getrauert haben, fuhren wir weiter. Denn ich möchte mir mit meinem Mann die Städtchen Görlitz und Zittau anschauen. Ich war als Kind oft dort und bin gespannt, wie sich diese beiden Perlen verändert haben.

Das Buch, über welches ich ständig sinniere, ist dieses hier:
Vita contemplativa oder von der Untätigkeit | Eine Kritik an unserer Leistungsgesellschaft
Und wer es bei Buch7.de bestellt, tut zudem noch Gutes!


Merci fürs «Mitreisen»

Wir überlegen, im Sommer wieder eine Reisepause zu machen und unsere Familien in Deutschland und der Schweiz zu besuchen. Mit dabei ist eine Idee, einen Vortrag über unsere lange Reise bis an den persischen Golf vorzubereiten. Falls Ihr Lust hättet, was würde euch am meisten interessieren? Hier werden wir auch Geschichten erzählen, die hier auf dem Blog keinen Platz finden. Wir denken an den Raum Bern und Berlin – einfach, weil wir da Familie haben. Aber auch andere Orte wären vorstellbar. Schreibt uns gern.

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2 Kommentare
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Rachel
Rachel
4 Monate zuvor

Buch gekauft!
Dankeschön für den Tip! 👍🥰

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